MENSCH UND TIER : Traurig gucken
Da ich Stimmen hörte, fragte ich mich kurzzeitig, ob ich verrückt würde. Die Tatsache, dass ich mich in einem Gespräch befand, belehrte mich eines Besseren. Dem musste Einhalt geboten werden. Das Niveau der Ausstellung, in der wir uns befanden, war dem Niveau des Gesprächs ebenbürtig, und ich hatte es sowieso nur aus einer Reflexreaktion heraus begonnen.
Würde man von vorne beginnen, klänge das Ganze so: Die 400 Fotos an der Wand zeugen von grauenhaftem Leid. Auf der Hälfte der Bilder sind verletzte Menschen zu sehen, meist mit Staub bedeckt. Einige klammern sich an Aktentaschen, andere spülen sich mit Wasser die Augen aus, das Datum zu diesem Ereignis ist bekannt. Die andere Hälfte der Bilder zeigte die Überreste der Twin Towers, Schutt, Dreck und jede Menge Asche. Nur auf einem Foto war etwas anderes zu sehen: ein Schäferhund. Er hatte anscheinend keinerlei Verletzungen, guckte aber sehr traurig, und das eine Ohr schien angewinkelt. Nun geschah etwas, was so wohl nur in Deutschland möglich ist. Ein Besucher nach dem anderen trat vor die riesige Fotowand, warf einen flüchtigen Blick auf die Bilder und blieb mit ähnlich stupidem Blick wie der Wachhund selbst an der Fotografie des Köters hängen. Mensch und Tier schienen vereint in stumpfsinniger Eintracht. All dies erinnerte mich an ein Zitat, und dieses schrieb ich nun ins Gästebuch: „In Deutschland müssten Selbstmordattentäter einen Helm tragen!“
Dies wiederum verärgerte die Besucherin, die sich nach mir verewigen wollte, und daher kam wohl auch dieses Rauschen im Ohr, von dem ich anfangs berichtete. „Was Sie sagen, geht ins linke Ohr rein und aus dem rechten wieder hinaus!“, erklärte ich ihr. „Ist ja auch nicht viel dazwischen!“, sagte sie und hatte nun endlich meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Let’s get ready to rumble!
JURI STERNBURG