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Archiv-Artikel

MEHR ALS 13 MILLIONEN MENSCHEN GUCKEN DEN SCHLECHTESTEN „TATORT“ DER JÜNGEREN GESCHICHTE Zweifel am Zuschauer

JÜRN KRUSE

Sollen wir uns etwa dafür schämen, dass unser Programm beim Zuschauer so gut ankommt? Angesprochen auf weichgespülte, quotenoptimierte Filme, Serien und Shows, ist das die Standardgegenfrage der Programmverantwortlichen von ARD und ZDF. Vermutlich ist sie Lehrinhalt zum Auftakt ganztägiger öffentlich-rechtlicher Managementschulungen.

Aber nein, liebe ARD, liebes ZDF, schämen müsst ihr euch nur dann, wenn ihr vorher wisst, dass Massen zuschauen werden und ihr ihnen trotzdem den stinkendsten Mist serviert!

Mehr als 13 Millionen Zuschauer – Quote: knapp 37 Prozent – sahen am Sonntag den „Tatort“ aus Münster: „Mord ist die beste Medizin“. Humor für Menschen, die längst mit Humor abgeschlossen haben; ein Kriminalfall, der sogar für ein TKKG-Hörspiel zu spannungslos wäre; und zu allem Überfluss ein Besserwisserkind, das mit ermittelt – und am Ende von Boerne und Thiel als Lockvogel für den Giftmörder eingesetzt wird.

Wer so etwas abliefert, duckt sich normalerweise weg und hofft, dass das faule Obst an einem vorbeifliegt. Stattdessen feiert der WDR einen weiteren Münsteraner Quotenrekord. Schließlich ist eine gute Quote auch stets ein Schlag ins Gesicht der Dauernörgler. Hier kommt noch ein Satz aus dem Seminar für öffentlich-rechtliche Führungskräfte: „Wir machen kein Fernsehen für die Kritiker, sondern fürs Publikum – und das hat recht.“ Dieser zweite Leitspruch wird stets nach der Mittagspause eingebimst. Dabei muss dieser „Tatort“ selbst für die frommsten ARD-Anhänger der endgültige Beweis sein, dass Quote mitnichten Qualität bedeutet.

Wie zum Beleg schalteten nach dem „Tatort“ fast alle ab: Michael Hanekes „Liebe“ – prämiert mit einem Oscar, einer Goldenen Palme, einem Golden Globe und fünf Césars – guckte nicht mal mehr jeder sechste „Tatort“-Zuschauer. Quote: einstellig. Doch wer nun glaubt: Aha, keine Zuschauer, das muss in der öffentlich-rechtlichen Logik Scheißqualität bedeuten, der irrt. Denn der umgekehrte Schluss wird von ARD und ZDF nicht zugelassen. So etwas wie Hanekes Film „gönnt“ man sich, wie es im öffentlich-rechtlichen Duktus heißt. Man wisse um die hohe Qualität, die sei aber so übertrieben hoch, dass das Werk nur ein kleines Publikum erreichen könne. Aber man sei sich des eigenen Auftrags durchaus bewusst. Das muss die dritte Lehrveranstaltung gewesen sein (nach der Kaffeepause): „Sich etwas gönnen und seines Auftrags bewusst sein – Nebelkerzen für die kritische Öffentlichkeit.“

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

MontagBarbara DribbuschSpäter

DienstagDeniz YücelBesser

MittwochMartin ReichertErwachsen

DonnerstagAmbros WaibelBlicke

FreitagMeike LaaffNullen und Einsen

Wie sehr die Masse in der Fernsehgeschichte irrt, zeigt auch ein Blick zurück: „Stoevers Fall“ von 1992, 15,86 Millionen Zuschauer, „Tatort“-Rekord. Manfred Krug, Charles Brauer, irgendwo stand immer ein Klavier rum, und für ein flottes Liedchen hatten die Kommissare stets Zeit. Das war damals blöd. Das ist heute blöd.

„Sollen wir dem Publikum also sein Lieblingsprogramm wegnehmen?“ (letzte Seminarfrage). Nein, liebes öffentlich-rechtliche Fernsehen, ihr sollt es nur besser machen. Wenn ihr schon nicht das Publikum ernst nehmt, dann doch bitte zumindest dessen Lieblingsprogramm.