: MBFR–Verhandlungen vor dem schleichenden Tod
■ In Wien wurde gestern eine neue Gesprächsrunde über den Abbau der konventionellen Waffen in Mitteleuropa (MBFR) eröffnet Erwartet wird aber bestenfalls ein symbolisches Abkommen / Perspektivisch stehen Verhandlungen auf gesamteuropäischer Ebene an
Wien (ap) - Wenn sich wie seit mehr als 13 Jahren am Donnerstag die honorigen Botschafter von Ost und West im Redoutensaal der Wiener Hofburg unweit der Reitställe der berühmten Lipizzaner am runden Tisch zusammensetzen, um über den Truppenabbau in Mitteleuropa zu beraten, dann ist dieses dienstälteste Ost–West–Abrüstungsforum bereits vom schleichenden Tod bedroht. Es scheint sicher, daß die Verhandlungen über einen Truppenabbau in Mitteleuropa keine Zukunft mehr haben. Sie sollen einem größerem Forum von Verhandlungen über konventionelle Abrüstung „vom Atlantik bis zum Ural“ weichen. Offen bleibt jedoch noch die Frage, ob NATO und Warschauer Pakt die Marathonkonferenz sang und klanglos sterben lassen, oder ob sie sich zu einem eher symbolischen Mini–Abkommen durchringen können. Der Osten scheint nach den vorliegenden Informationen die zweite Variante zu bevorzugen; und auch die westlichen Delegationen scheinen zumindest einen symbolischen Endpunkt zu favorisieren. „Ich würde keinen Groschen für eine lange Zukunft der Konferenz wetten“, sagte ein westlicher Delegierter am Vortag der neuen Runde. Trotzdem könnte jedoch nach seiner Auffassung auch ein Goodwill–Abkommen einen positiven Aspekt für die wahrscheinlichen anschließenden gesamteuropäischen Verhandlungen über konventionelle Abrüstung in Gesamteuropa bedeuten. Die 40. Runde war nach langem Stillstand im Dezember des Vorjahres mit einem neuerlichen verbalen Schlagabtausch zwischen den Delegierten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zu Ende gegangen. Der sowjetische Delegationschef Michailow forderte einen Abschluß der MBFR– Konferenz mit einem „möglichst einfachen Abkommen“ und einen Neubeginn mit Verhandlungen für Gesamteuropa. Mit dieser Erklärung stützte sich Michailow auf Aussagen des Warschauer Paktes und des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow im April 1986. Dieser hatte vorgeschlagen, die bisher auf einen begrenzten Raum in Mitteleuropa beschränkten MBFR– Verhandlungen auf Gesamteuropa auszudehnen. Bereits im Juni griff der Warschauer Pakt diesen Vorschlag formell im Budapester Appell auf und konkretisierte ihn: Beide Bündnisse sollten ihre Truppen innerhalb von zwei Jahren um je 100.000 bis 150.000 Mann und bis in die 90er Jahre um 25 Prozent oder je eine halbe Million Soldaten reduzieren. Die Außenminister der Nato nahmen den Gesprächsfaden Anfang Dezember in Brüssel auf und schlugen Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle von Atlantik bis zum Ural vor. Der US–Delegationsleiter bei der Wiener Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), Warren Zimmermann, bekräftigte diesen Vorschlag am Montag. Trotz der nahezu übereinstimmenden Vorschläge von Ost und West ist jedoch noch ein wichtiger Punkt neuer Verhandlungen offen: Sollen es Verhandlungen zwischen Warschauer Pakt und Nato plus Frankreich oder Abrüstungsgespräche im großen Rahmen der KSZE–Konferenz werden? Angesichts des Ziels des neuen Forums macht sich die in Wien zu erwartende MBFR–Mini–Lösung besonders bescheiden aus: Nach mehr als 13 Jahren würde schon ein Abkommen über den Abzug von 5.000 US–Soldaten und 11.500 sowjetischen Soldaten innerhalb eines Jahres als ein Ergebnis angesehen.
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