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Archiv-Artikel

MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND Der fliegende Teppich

Nichts wird weggeschmissen: Der Deckel eines Gurkenglases wird zum Tankdeckel eines Treckers

Erwähnte ich schon einmal, dass Bauern die natürlichen Könige der Wiederverwertung sind? Angetrieben werden sie dabei nicht etwa von einem ökologischen Bewusstsein, sondern vielmehr von einer Art angeborener Sparsamkeit.

Das fing schon bei meinem Opa an, der für all seine selbst gebauten Kaninchenställe niemals gekaufte Türscharniere verwendete, sondern stattdessen ausrangierte Fahrradreifen benutzte, die er als Verbindungsstücke zwischen die Bretter nagelte. Weiter ging es mit meinem Onkel Kalli, der so sparsam war, dass er auf der Entenjagd so lange zu warten pflegte, bis zwei Enten hintereinander auf dem Teich saßen, so dass sie mit nur einer Kugel zu erlegen waren. Er war passionierter Käfer-Fahrer, und über Dutzende von Jahren kaufte er sich immer wieder alte, fast schrottreife Exemplare vom immer gleichen Typ. Die ausrangierten stellte er dann in einer immer länger werdenden Reihe als Ersatzteillager auf seiner Hauskoppel ab. Ein wunderbarer Spielplatz für uns Kinder.

Als ich neulich in einem Fachgeschäft für Agrarbedarf herumstand, habe ich gesehen, dass man sogar eigens zu diesem Zweck hergestellte Futtereimer kaufen kann. Das hatte ich vorher nicht gewusst; denn seit ich denken kann, versorgt meine Mutter unseren Hof mit Futtereimern, die in ihrem früheren Leben Farbeimer gewesen waren und die sie mit unerbittlicher Beharrlichkeit dem örtlichen Malermeister abzuschnacken pflegt. Die werden auf unserem Hof verwendet, bis der Boden herausbricht.

Mein Nachbar fährt einen Trecker, der statt seines verloren gegangenen originalen Tankdeckels irgendwie stolz einen perfekt passenden Gurkenglasdeckel mit der Aufschrift „Original Spreewald Qualität“ trägt, und vor kurzem erst ging der Einfall einer Bauernfamilie durch die Presse, einen ausrangierten Teppich nicht wegzuschmeißen, sondern zur Bespaßung der Feriengäste hinter den Trecker zu spannen. Der Bauer heizte über die Koppel, und die juchzenden Gören standen hinten auf dem Teppich und versuchten, die Balance zu halten. „Fliegender Teppich Made in Holstein“ nannten sie das, und hinterher sind die Maulwurfshaufen auf der Koppel eingeebnet. Feriengäste beglückt und Weide geschleppt, in einem Arbeitsgang. Das nenne ich Synergien schaffen.

Auch ich habe Probleme, Dinge wegzuschmeißen. Wer weiß, wozu man dies und das noch einmal gebrauchen könnte. Es ist nicht so schlimm wie bei einem Freund, der den Schrotti nicht vom Hof fahren lassen kann, ohne ihm etwas abzukaufen. Er ist der einzige Bauer, bei dem der Lkw des Schrotthändlers niemals voller wieder fährt, als er gekommen war, und sein Hof sieht inzwischen aus wie eine große rostige Schrottskulptur.

Auch als mein alter Kasten-R4 nicht mehr durch den TÜV kam, konnte ich ihn einfach nicht an die Schrottpresse liefern. Also stellte ich ihn als Kinderspielplatz in den Garten. Bald wollte niemand mehr darin spielen und er stand nutzlos herum, bis unser Dorfschlosser ihn haben wollte. Er sei auf der Suche nach einem Dach für seinen Hochdruckreiniger, damit der nicht unter freiem Himmel schlafen müsse. So hat der R4 selbst als Schrott noch eine wichtige Aufgabe. Das tröstet mich.

Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat