MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND : Biobauern auf Reisen
In sicherer Entfernung zu seinem Wohnort steuert der Vollwert-Guru die Tanke an – und kauft sich Snickers
Tiere von Biobauern müssen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ausschließlich mit Futter aus ökologischem Landbau gefüttert werden. Für Biobauern selber gilt das nicht. Die dürfen fressen, was sie wollen. Und das ist auch gut so. Das ist eine Frage der Freiheit. Außerdem wird das Fleisch von Biobauern ja in der Regel nicht vermarktet, und schon gar nicht unter Verwendung anerkannter Warenzeichen der biologischen Landwirtschaft. Der Verbraucher wird also nicht betrogen.
Neulich stand eine als Freundin getarnte Lebensmittelkontrolleurin in unserer Küche, machte den Kühlschrank auf und sagte: „Das ist ja nicht besonders öko.“ Und ich musste ihr sogar recht geben. Bei unserem Essen geht es in erster Linie um Genuss, und erst in zweiter Linie um ökologische Kriterien. Wir sind eine große Familie, und wer jemals versucht hat, seinen Kindern Öko-Nuss-Nougat-Creme anzudrehen, nachdem sie bei Freunden Nutella gegessen haben, der weiß, wovon ich spreche.
Für unseren Einkauf gibt es zwei goldene Regeln: Es geht nie nach dem Preis. Wir sind bereit, viel Geld für unsere Ernährung auszugeben. Und: Wir kaufen keine Lebensmittel bei Discountern. Denn deren Geschäftsmodell beruht auf Ausbeutung. Sie werden stinkreich mit dem Gefühl von Armut, das sie bei Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden erzeugen. Bei Aldi, Lidl und all den anderen Drecksläden einzukaufen hieße für mich, den letzten Rest von Achtung vor meiner Arbeit und letztlich vor mir selbst zu verlieren. So. Das musste mal gesagt werden.
Vor Jahren war ich mal mit einer Biobauernikone unterwegs zu einer Tagung. Der vollbärtige Säulenheilige der alternativen Szene war für seinen kompromisslosen Fundamentalismus bekannt, was seine Haltung zur Vollwerternährung betraf. Doch kaum waren wir fünfzig Kilometer von seinem Wohnort entfernt, steuerte er die nächste Tanke an und kaufte sich zehn Snickers. „Wenn man den Rest des Jahres richtig lebt“, deklamierte er, „kann man auch mal über die Stränge schlagen!“ Er fuhr fort: „Aber erzähl meiner Frau nichts davon!“ Und ich verstand, warum man ihn auf wirklich jeder Biobauerntagung traf – er musste einfach mal ausbrechen, um Snickers zu fressen. Diese Schwäche machte ihn, den großen Spaßverderber, fast sympathisch. Ich hielt dicht – bis heute.
Letzten Sonnabend demonstrierten in Berlin 22.000 Leute für eine soziale, ökologische und gentechnikfreie bäuerliche Landwirtschaft. Es waren viele Biobauern darunter, die aus allen Teilen des Landes gekommen waren. Die Stimmung war gut. Endlich trafen wir uns mal, und sprachen darüber, wie entsetzlich geschmacklos der sogenannte Milchschaum aus den entsetzlich geschmacklosen Coffee-to-go-Automaten ist. Überhaupt, es ist erstaunlich, dass alles gleich schmeckt, Milchkaffee, Latte macchiato, Cappuccino, obwohl es dafür doch eindeutig unterschiedliche Tasten gibt. Ein nettes Gesprächsthema, während wir am Rande der Demo in der Schlange der fettranzigen Imbissbude standen, um Bratwurst aus kontrollierter Massentierhaltung zu kaufen. Aber wie gesagt: Wenn man den Rest des Jahres richtig lebt und so weiter.
■ Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat