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Archiv-Artikel

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEXDER STREIT UM DIE AKW-LAUFZEITEN BRAUCHT HUMOR. BEIM MARKETING KÖNNEN WIR NOCH EINIGES VON DEN LOBBYCOMEDIANS LERNEN Wir umzingeln einen Witz

Gerne würde ich heute was Nettes von meiner duften Rennradtour erzählen. Es ging Samstag von Maastricht rein nach Wallonien von Visé zum Kloster Val Dieu. Aber nein, keine Zeit, denn ewig grinst das Atommurmeltier und brüllt Verlängerung.

Ich habe bereits geschrieben, dass die gesellschaftliche Energieverschwendung das Allerdämlichste ist an dieser verrückten Idee. Nicht schon wieder demonstrieren gehen. Ich? Du? Wir? Leute, es ist 2010. Haben wir eigentlich nix Besseres zu tun als blöd mit Transparenten rumzurennen?

Beispielsweise lecker im Kino kuscheln und den Film die „4. Revolution“ genießen. Das ist bekanntlich ein dufter Ökosexfilm mit Hermann „Brad“ Scheer in der Hauptrolle. Hab ich letzte Woche zum 2. Mal gesehen. In Aachen! Plötzlich schwebte der Geist der erneuerbaren 100-prozentigen Vollversorung von der Kinodecke und beseelte uns. Aber nein, ich muss mich hier wieder mit Atomquatsch rumschlagen. Am Wochenende haben die Kollegen in Berlin wieder heftig gemenschenkettet. Wat’n Knall bei Vattenfall. Also bitte, dann versammeln sich am 24. April eben viele zwischen Krümmel und Brunsbüttel und umzingeln einen Witz, der da heißt „60 Jahre Laufzeiten“. Ein Brüller.

In Sachen Marketing können wir noch einiges von den Atom- und Kohlecomedians lernen.

Brückentechnologie! Grüne Kohle! Gierige Solarabzocker, Solarschulden, solare Subventionsritter. Das waren die Jokes der letzten Wochen. In Deutschland fährt ein Oligopol von vier Konzernen exorbitante Renditen ein, indem es das Klima gefährdet. Und doch kommunizieren die Spaßvögel bei Spiegel, Focus und Konsorten, dass uns die Ausgaben für Solar die Haare vom Kopf fressen. Chapeau, Ihr Komiker! Da heißt es innovativ dagegenhalten. Hier ein paar neue Begriffe, um das Atomblabla aufzumischen. Wie wäre es, wenn wir anstatt von Endlager in Zukunft konsequent von „Jahrtausendlager“ sprechen?

Anstatt von Entsorgung von „Ewigkeitssorgen“? Zitat: „Durch die Jahrtausendlagerung in Gorleben wäre der Weg frei für das Ewigkeitsorgen bis ins Jahr 6543.“ Anstatt über den Bürger scherzen wir über den Atombürgen mit Zwangshaftpflicht. Auch empfiehlt es sich in Zukunft gut gelaunt von den „Ewigkeitskosten“ der Atomkraft zu schwärmen, von der Atommülldividende und den Strahlungsrenditen. Und nie mehr, nie mehr sollte von „Stromwechsel“ die Rede sein. Unser bester Gag der nächsten Monate heißt „Massenkündigung“. Einfach und überall kurz mal die „Massenkündigung“ erwähnen. Die Abstimmung mit der Stromrechnung. Der Volksentscheid Atomenergie. Das „Wir sind watt Volt“.

Wobei wir wieder bei meinem Lieblingsthema wären. Hallo Umweltverbände, ich weiß, Ihr hattet im Dezember keine Zeit wegen Kopenhagen. Aber wäret ihr jetzt bereit für die große Kampagne „Volksentscheid Atomenergie“ an einem Samstag und Sonntag im Juli? Mit Wahllokalen in ganz Deutschland und echter Massenkündigung? Menschenkette ist gut, Massenkündigung ist besser. MARTIN UNFRIED