MANCHE BRAUCHEN KEIN HANDY, WEIL SIE EINEN HUND HABEN. ANDERE NUTZEN KLINGELTÖNE FÜR DAS, WAS FRÜHER IHRE KAMPFHUNDE ERLEDIGT HABEN : Hund – Handy – Handtasche
VON HELMUT HÖGE
Um 2007 bereits waren die Lesebühnen derart erfolgreich, dass das Publikum schon lachte, wenn nur das Wort „Handy“ fiel. Wenn dann auch noch in das allgemeine Lachen hinein irgendein Handy klingelte, geriet alles schier außer Rand und Band. Inzwischen macht gottlob kein Mensch mehr Witze über die ewige Handy-Telefoniererei, -Knipserei und SMS-Abfragerei. Genauso wenig wie über die Hundekacke auf der Straße und in den Grünanlagen. Es gibt auch kaum noch Meldungen über Heimjugendliche, aus dem Gefängnis Entlassene und sonst wie Verrohte, die wohlhabendere, dafür umso schmächtigere Jugendliche überfallen, um ihnen ihr Handy „abzunehmen“. Höchstens, dass sie einem am Zoo anhauen: „Ey, hasse mal ’n Klingelton?!“
Eine Projektgruppe der Kulturwissenschaftler an der Humboldt-Universität hat festgestellt, dass die Zahl der Hundehaufen im Weichbild der Stadt umgekehrt proportional zu der der Handygespräche in der Öffentlichkeit ist. Das Handy ist durch! Alle Schichten bis hin zu den Obdachlosen sind gut versorgt. In meinem kleinen asozialen Netzwerk haben sie bereits die nächste Eskalationsstufe gezündet, indem sie sich ein iPhone anschafften. Auf die Weise bin auch ich jetzt zu einem (alten) Handy gekommen – noch vor dem französischen Kultregisseur Jean-Luc Godard. Der hat noch nicht mal Internet! Die Zeit fragte ihn entsetzt: „Schauen Sie denn wenigstens fern?“ – „Selten“, antwortete er. „Manchmal Tierfilme auf der BBC, in denen Menschen Monate damit verbringen, um einem Käfer oder einer Haselmaus nachzustellen.“ – „Und was ist Ihr nächstes Filmprojekt?“ – „Die Geschichte eines Paares, das sich sehr gut versteht. Und das sich besser versteht, sobald es einen Hund hat.“ –„Verstehen auch Sie und Ihre Frau sich besser, seit Sie den Hund haben?“ – „Nun, er tut uns gut.“ – „Weil sie manchmal über den Hund miteinander kommunizieren?“ – „Sehr oft sogar. Sehen Sie, ich brauche wirklich kein Mobiltelefon.“
Hund oder Handy, was für eine Alternative! Aber sie gibt den Thesen der HUB-Projektgruppe recht. Beides steigert zwar unsere „Availability“ (Bill Gates) ins Enorme, aber während der Hund auf immer die gleiche Weise jammert und jault, wenn er raus will oder muss, kann man beim Handy heute zwischen 11.000 Klingeltönen wählen. Die gemeinen Warentester empfehlen Muezzinrufe aus dem Vorderen Orient, zur Not tun es auch welche aus dem Mittleren. Wenn so was in der U1 oder U2 ertönt und man nicht sofort rangeht, dann jaulen mit tödlicher Sicherheit die ganzen Sarrazinisten im Waggon auf. Und es wimmelt auf diesen Strecke geradezu von solchen reaktionären Arschlöchern. Auf die Weise hat man elegant das Handy mit dem Hund verbunden, ohne dass man seine berühmte „Verfügbarkeit“ nennenswert gesteigert hätte.
Aber darum geht es eigentlich gar nicht, sondern um das schiere Gegenteil: Hat man erst einmal so ein Ding, will man auch darauf angerufen werden. Und also teilt man Hinz und Kunz seine neue Nummer mit. Da das aber nur wenig nützt, ruft man selbst immer öfter irgendjemanden an. Ich gebe jetzt schon über 60 Euro im Monat für Prepaid-Karten aus. Ja, man benutzt nicht mal mehr das kostenlose Diensttelefon mit Schnur. Bekloppt! Geradezu selbstzerstörerisch wird es, wenn es einem nicht einmal mehr was ausmacht, wenn „der Andere“ (J. Derrida) einen bei Anruf informiert: „Du, ich bin gerade in Simbabwe, im Veld“, und man ihn trotzdem fragt, ob es dabei bleibt: Samstag im Florian am Heinrichplatz wie immer?
Neulich kam eine Sechsjährige (sic!) ins Lafayette. Ihre Eltern hatten sie vor die Wahl gestellt: Entweder Blackberry oder Handtasche. Sie entschied sich für eine Handtasche zu 300 Euro. Mit der Bemerkung: „Ich habe diesen ganzen Kommunikationsscheiß so satt!“ Oho! Ein neuer Trend? Drängen die sozial Atomisierten womöglich zurück in die Realität? Die Verkäuferin hielt die Entscheidung der Kundin für „vollkommen plemplem“ – aber nur „im Vertrauen“.