Lust auf feministische Physik

■ Kongreß: „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“

Berlin (taz) —Frauen dürfen die Suche nach der Erkenntnis über die Natur und deren Vorgänge nicht den Männern überlassen. So könnte das Motto des 19. bundesweiten Kongresses „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ gelautet haben, der vom 20. bis 23. Mai in Berlin stattfand. Sie würden damit die patriarchale Monokultur in Naturwissenschaft und Technik nur weiter verstärken. „Für mich ist der Kongreß die richtige Tankstelle, um das nächste Jahr zu überstehen“, sagt Antje O., eine der 160 Frauen, die unter 3.000 Männern Elektrotechnik an der TU Berlin studieren.

Etwa 600 Studentinnen, Ingenieurinnen, Handwerkerinnen und Wissenschaftlerinnen nahmen an dem Kongreß teil. In Vorlesungen, Arbeitsgruppen und Workshops setzten sie sich mit ihrer Situation als Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen auseinander sowie mit feministischen und alternativen Ansätzen. Schwerpunkte des diesjährigen Kongresses waren Rassismus in Deutschland und Europa, Lesben, Frauen in Ost und West und Frauenprojekte in Berlin.

Die Kongresse begannen 1977, als sich 60 Frauen im Aachener Frauenzentrum trafen. Von Anfang an spielte die technikkritische Strömung eine Rolle, die sich im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung gebildet hatte. „Wir haben uns gefragt, was ist das für eine Wissenschaft, die so etwas hervorbringt,“ sagt die Physikerin Rosemarie Rübsamen, die seit dem ersten Mal dabei ist. Auf den folgenden Kongressen kamen Themen wie Gentechnologie, Stadtplanung, alternative Erkenntnistheorien und in diesem Jahr alternative Energien zur Sprache.

Die Kongresse reagierten auch auf die Frauenbewegung, die sich aus dem Diskurs über Naturwissenschaft und Technik fast völlig zurückgezogen hat. Dabei gibt es auch in den scheinbar objektiv und wertneutral agierenden Naturwissenschaften genauso patriarchale Strukturen wie in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.

Rübsamen selbst thematisierte diese in Hinblick auf die Physik, die sich stets mit dem Nimbus der reinen Naturerkenntnis umgibt. „Gerade die Abwesenheit geschlechtlicher wie auch gesellschaftlicher Kategorien bedeutet hier jedoch ihre manifeste Anwesenheit“, so Rübsamen. Das Bestreben der Physik, sich sowohl von ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen als auch von ihren Außenwirkungen abzugrenzen, entspreche der männlichen Tendenz, Identität in Abgrenzung zu gewinnen.

Zum ersten Mal wurde auch die Situation von Frauen in Ost und West diskutiert, die sich seit der Wende unaufhaltsam angleicht. Im technischen Berufen wie im universitären Mittelbau waren Frauen in der DDR selbstverständlicher vertreten. Schon die in der alten und neuen Bundesrepublik üblichen Arbeitsbedingungen, die ein Höchstmaß an Einsatzbereitschaft, Konkurrenzvermögen und Flexibilität voraussetzen, machen es den Frauen schwer. Die wenigsten Frauen im Osten seien bereit, sich für ihre Karriere derart zu amputieren, sagte Gabi Motz, Physik-Frauenbeauftragte an der Humboldt-Universtät. „Hier ist man doch schon benachteiligt, wenn man niemanden hat, der einem die Bratkartoffeln macht, einen zum Flugzeug bringt und die Kinder versorgt.“ Corinna Raupach