: Luschen als Sieger
GRANATENFUSSBALL Das dritte jährliche Bolzturnier im Frankfurter Gallus bot wieder einmal eine Klasse für sich
Mag sein, dass in der aktuellen Bundesligahinrunde allerlei First-Class-Dummheiten und spielerische Top-Pleiten das kulturelle Leben in dieser Glanzrepublik eindrucksvoll bereichert haben, doch der unanfechtbare Höhepunkt fußballerischer Kunstausübung war kürzlich im Frankfurter Gallusviertel zu gewahren, als zum dritten Mal nach 2007 und 2008 das „Große Turnier um den leeren Gallus-Pokal“ ausgetragen wurde (Die Wahrheit berichtete zuletzt am 28. 4. 2008).
Ich hatte eiskalt beschlossen, nicht zu spielen – den dreckigen Job der Titelverteidigung sollten andere erledigen –, mich zum Teammanager von „Hermann United“ ernannt und Katja zur Technischen Direktorin degradiert, die nun für die Spielerbeschaffung und surrealistische Taktikskizzen zuständig war, die unseren Hauptfeind, meinen Stammwirt Apollo und dessen Ramschtruppe „Apollo 11“, irritieren und demotivieren sollten.
Am Vorabend des Turniers standen exakt zwei Spieler auf meiner goldgefassten Managerschiefertafel: der Trierer Dauerläufer und -esser Jöricke und unser in mancher Kesselabwehrschlacht gestählter Torwart, der Universalhandwerker und -politologe Martin S., der, um Gegentreffer zu verhindern, notfalls unser Tor auf dem abermals optimal überfluteten Kleinplatz gegenüber der Societäts-Druckerei geschwind abschrauben würde.
„Katja, du hast versagt, ich muss dich entlassen“, brummte ich am Tresen des Kyklamino. „Was soll ich denn machen? Einer hat Knie, einer hat zwei Knie, einer hat gar kein Knie mehr, und einer hat keine Schuhe. Was ist überhaupt mit deiner Nia Künzer?“ – „Hab mein Handy ins Bierglas geschmissen und deshalb ihre Nummer nicht mehr.“ – „Und du willst Manager sein? Sogar Elena, die von dir erkieste Pressesprecherin, ist spurlos verschwunden!“
Bevor die Situation eskalierte, schritt Martin S. ein: „Ruhig, Leute! Wir organisieren einfach schnell ein paar kaputte Typen mit Killerinstinkt. Ich kenn zwei Zigarrenraucher, die haben gut Luft, die ruf ich an.“
Nach zwei Telefonaten war klar, dass die Zigarrenraucher zwar gut Luft zum Saufen, aber keine Lust auf Laufen hatten. Ich erreichte wenigstens den Gießener Kollegen Jörg S., der mir steckte, irgendwas mit „den Knien“ zu haben. Ich kündigte ihm die Freundschaft, da sagte er zu, und auch Katja hatte plötzlich die zwei Brecher Mirko und Christoph engagiert.
Apollo, der Berlusconi des Gallus, verfügte laut Spielerplan über zwanzig Luschen, lauter korrupte Einkäufe. „Es geht morgen um brutalstmögliche Härte“, schwor ich uns drei lautstark ein, „der Trojanische Krieg wird nichts dagegen gewesen sein.“ Apollo winkte ab und griente sardonisch, und ich erteilte unserem Torwart Vögelverbot. „Logisch, dumm kickt gut“, sagte er, und Katja meinte: „Zur Not renn ich mit der Uzi auf den Platz.“
Sport1 meldete am nächsten Morgen die falsche Anstoßzeit – beziehungsweise gar nichts. Ich klingelte noch Jürgen L. aus dem Bierfass. Er brachte Dinu mit, hatte selber aber keine Hose und keine Schuhe, und der Amerikaner Peter B. stieß zu uns. „Das geht eher Richtung Paralympics“, stöhnte Jörg S. und fragte mich sachlich: „Wie, du spielst nicht mit, du Schwein?“ – „Das gibt einen Eintrag ins Klassenbuch“, sagte Katja.
„Wir haben vier Defensivkräfte und einen Verteidiger“, lotete Jöricke unsere Chancen aus. „Du Arsch machst die Buden – und fertig!“, munterte ich ihn auf, als die dritte Mannschaft auftauchte, ein äußerst undurchsichtiger Verein namens „Orange Beach“ unter der Leitung des Pressemoguls Martin O.
Von Apollos „Cracks“ waren Stücker drei erschienen. „Ist das schön, diese Ratlosigkeit!“, sangen wir. Jürgen L. lief, um sich warmzumachen, in Straßenkleidung auf den Platz und fiel in ein Schlammloch. „Ich hab keine Luft mehr“, sagte er. Martin S. ergänzte: „Mental sind wir alle verletzt“, und Jöricke schmiss eine Flasche Pfungstädter in die Büsche: „Und die erste Plemp schon wieder weg.“
Ich gab die Losung „Ich will bedingungslose Unfairness sehen!“ aus, und nach zwei Minuten hatte Jöricke zwei Kisten gemacht. Jürgen L. und ich näherten uns der ersten Hälfte der ersten Kiste. Christoph netzte zum Dreinull ein, und am Ende war „Orange Beach“, der Geheimfavorit, wie gemunkelt worden war, trotz einheitlicher Trikots und Binding-Dopings mit 5:2 den Bach runtergegangen, insbesondere wegen der Fabelpässe des Königs der Lupfer, Jörg S., und Jürgen L.s pirouettenartigen Umfalleinlagen.
„Wir sind hier, um den Titel zu verteidigen“, stellte Jöricke, der Platinbomber aus Trier, klar. „Wir dürfen den Hochmut nicht sinken lassen“, hetzte Martin S. „das Team“ (Katja) vorbildlich auf. „Diskret auftrumpfen“, so nun wieder Jöricke. Denn, das sah Apollos Auslosung vor, wir mussten schon wieder ran, gegen Erzfeind „Apollo 11“.
Es gibt Vorfälle in der Geschichte des Fußballs, die niemand begreift. Wir waren schneller, beweglicher, technisch besser, wir waren Brasilianer mit der Moral von Dänen, wir hatten Jürgen L., und mein Coaching („Ball kontrollieren!“ – „Ihr steht gut!“) war brillant. Wir spielten Apollos Schummeltruppe, die aus Stammkräftemangel mit vier „Orange Beach“-Apostaten und -Arbeiterverrätern unter der Regie des Martin O. verstärkt worden war, an die Pfosten – und lagen in der 14. Minute, weiß der Dompfaff, warum, 0:1, nach zwanzig Minuten, tja, 0:6 hinten. Waren wir zu gut zum Siegen?
Fünf Minuten vor dem Abpfiff schob Jürgen L. nach einem beidfüßigen Ballbillardschwerkraftballettänzchen zum 1:6 ein, doch ich fragte mich und uns, den Jammer jämmerlich übertünchend: „Hattet ihr Scheiße am Stiefel?“ Martin S.: „Das dürfen wir in hundert Jahren nicht verlieren, das gibt es nicht!“
Martin O., Judas Ischariot in persona, grinste: „Die dritte Halbzeit ist gerettet.“ Meine Mannschaft beriet darüber, ob ich noch zu halten sei. „Apollo 11“ gewann, nicht zuletzt, weil Uli der Blocker, der Spieler des Turniers, das einzige Foul des Nachmittags beging, auch die Abschlusspartie und holte den Titel. Martin O. reichte mir die Hand: „Ich hab ja ungern gegen mich gewonnen.“ So sehen Schurken aus.
Später feierten die Apoakropolisstalinisten im Kyklamino den größten Betrug der Fußballgeschichte. Meine Leute schrien „Roth raus! Roth raus!“, und einzig Freund Jöricke wandte sich mir zu und sagte: „Mach mal die Kamera klar, ich schmeiß gleich einen Barhocker quer in die Flaschenbatterie.“
Was danach passierte, erzählen wir ein andermal. JÜRGEN ROTH