Lukrative Wertstoffe: Alle wollen Altmetall
Kommunen wünschen sich beim Schrotthandel ein größeres Stück vom Kuchen. Das Nachsehen haben kleine fahrende Händler – unter ihnen viele Sinti und Roma.
BERLIN taz | Sogar eine alte Heizung ist noch etwas wert. Zwar sind es nur ein paar Euro – doch über die Frage, wer die Heizung bekommen darf, ist mit dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz ein Streit entbrannt.
Das im Juni vergangenen Jahres in Kraft getretene Gesetz sieht vor, dass Bürger Altmetall nur dann an private Händler abgegeben dürfen, wenn die Kommunen nicht widersprechen. Außerdem müssen fahrende Händler ihre Sammlungen drei Monate im Voraus bei den zuständigen Behörden vormerken. Für viele ist das mit kaum zu bewältigendem bürokratischem Aufwand verbunden. Wenn die Anzeige dann noch mit Verweis auf das öffentliche Interesse abgelehnt wird, verlieren besonders kleine Betriebe ihre Existenzgrundlage.
Besonders heikel ist, dass ein großer Teil der fahrenden Altmetallsammler Angehörige der Sinti und Roma und der Jenischen, einer alteingesessenen Volksgruppe in Mitteleuropa, sind. Der Bund der Jenischen bezeichnet den fahrenden Schrotthandel als eine Grundlage der jenischen Kultur.
Daneben begünstigte das Gesetz zur Entschädigung von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung von 1953 die Ansiedlung dieser Minderheiten in dem Gewerbe: Die Verfolgten wurden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt. „Im Verlaufe der Jahre entstanden auf diese Weise viele gut gehende Familienbetriebe, deren Existenz jetzt schlicht aufgelöst werden soll“, sagt Arnold Roßberg, Rechtsvertreter des Zentralrates der deutschen Sinti und Roma.
Statt den Schrott gewerblichen Sammlern zu geben, fordern die Kommunen die Bürger nun auf, ihn zu öffentlichen Wertstoffhöfen zu bringen. Grundsätzlich seien die kommunalen Abfallbetriebe für alle Abfälle privater Haushalte zuständig. „Wenn private Sammler Altmetalle sammeln und gewinnbringend vermarkten, dann sind das Gelder, die der Kommune entgehen“, sagt eine Sprecherin des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). „Die Rosinen werden aus dem Abfall gepickt, während der ganze Rest bei der Kommune bleibt.“ Mit den Erlösen könnten etwa die Müllgebühren stabil gehalten werden.
50 Euro für's Melden privater Sammler
Für die Verbände der privaten Recycling- und Entsorgungswirtschaft steht der Beweis dafür noch aus. Sie sehen im Vorgehen der Kommunen eine Strategie zur Verdrängung der privaten Sammler vom Markt – und klagen deshalb nicht nur vor den Verwaltungsgerichten, sondern haben Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht.
Weil das Altmetall in den meisten Kommunen nicht umfangreich abgeholt werde, besteht nach Meinung des Bundesverbandes für Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) außerdem das Risiko, dass der Schrott im Hausmüll landet oder im Keller liegen bleibt: „Zu unseren Verwertungsanlagen kommt seit der Einführung des Gesetzes 30 Prozent weniger Konsumgüterschrott aus privaten Haushalten“ sagt Birgit Guschall-Jaik vom BVSE. Der Bundesverband kommunaler Unternehmen kann diese Zahl nicht bestätigen.
Bundesweit werden nach taz-Informationen zwar nur 5 Prozent der angemeldeten Sammlungen verboten – die meisten Kommunen kooperieren also mit den gewerblichen Sammlern. Doch die Verbote häufen sich in einzelnen Kommunen. Im Fall des Landkreises Böblingen ist das Vorgehen besonders umstritten: Bürger bekommen eine Prämie von 50 Euro, wenn sie private Sammler melden. Seit der Einführung des Gesetzes kündigten dort 27 gewerbliche Sammler ihre Tätigkeit an.
Alle Sammlungen wurden von den Behörden untersagt oder die Untersagung steht noch aus. Obwohl das Verwaltungsgericht Stuttgart in allen Fällen den Klagen der privaten Sammlern entsprach und die Verbote aufhob, bleibt Steffen Kroneisen von der Abfallrechtsbehörde in Böblingen dabei: „Wir werden weiterhin alle gewerblichen Sammlungen untersagen.“
Dieser Tage wird das Gesetz evaluiert: Neben verschiedenen Verbänden, Landes- und Behördenvertretungen wurde auch der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma zu Gesprächen gebeten. Am heutigen Dienstag wird der Bund der Jenischen angehört. Ein Abschlussbericht ist für September angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen