piwik no script img

LuftverkehrSorry, 25 Stunden Verspätung

Bis zu 600 Euro stehen dem Passagier zu, wird der Flug gestrichen. Airlines versuchen, sich dem zu entziehen. Dienstag entscheidet der Bundesgerichtshof über die Wartezeit.

Um Stunden verspätet? Dafür gibt's trotzdem keine Entschädigung Bild: dpa

BERLIN taz Sie haben heute um 16.20 Uhr einen Termin und können ihn nicht einhalten? Kein Problem. Gehen Sie morgen hin, so kurz vor halb sechs, wenn Ihnen das passt. Dann sind Sie zwar verspätet, haben die Abmachung aber nicht platzen lassen. Nach dieser Logik haben die Richter des Amtsgerichts Rüsselsheim und in zweiter Instanz ihre Kollegen vom Landgericht Darmstadt bei einem Rechtsstreit zwischen einem Charterflugunternehmen und einem Ehepaar aus Neustadt an der Weinstraße nach deren Urlaub in Kanada entschieden.

Am Dienstag wird sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Fall beschäftigen. Mit dem Fall ist der Flug Nummer DE 6079 gemeint, den das Paar gebucht hatte, um am 9. Juli 2005 um 16.20 Uhr den Heimflug von Toronto nach Frankfurt am Main anzutreten. Ankommen sollten sie laut Ticket am 10. Juli um 6 Uhr. So war der Plan, als sie ihre Koffer am Schalter abgaben. Stunden später hatten sie ihr Gepäck wieder - nicht in Frankfurt, sondern in Toronto. Gegen 23.30 Uhr habe der Pilot bekannt gegeben, der Flug sei "cancelled", erzählt das Ehepaar später vor Gericht. Gegen Mitternacht wurden sie in ein Hotel gebracht, fünf Stunden später ging es zurück zum Flughafen, sagt ihr Anwalt Dr. Ronald Schmid. Tatsächlich startete Flug DE 6079 am Nachmittag und landete 25 Stunden nach Plan in Frankfurt.

Wird ein Flug von einer Entfernung über 3.500 Kilometer annulliert, muss das Luftfahrtunternehmen jedem Passagier 600 Euro Ausgleich zahlen, heißt es in einer EU-Verordnung, die seit Februar 2005 in Deutschland in Kraft ist. Ist der Flieger nur verspätet, gibt es keinen Ausgleich.

Was noch als Verspätung und was bereits als Annullierung gilt, lässt das Regelwerk offen - und beschäftigt damit die Gerichte, vorab in vielen Fällen das Luftfahrt-Bundesamt (LBA), dessen Mitarbeiter die Verordnung umsetzen sollen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben sich bei der Beschwerdestelle des LBA weit über 10.000 Fluggäste nach ihrem Recht erkundigt. Bis Ende Juni mündeten 5.088 dieser Anfragen in formalen Beschwerden. "Erste Ordnungswidrigkeiten-Verfahren sind in der Vorbereitung", sagt Cramer.

Rund 11 Prozent der Beschwerden seien Proteste wegen Nichtbeförderung, über die Hälfte wegen Annullierung und gut ein Drittel wegen Verspätung. Der Flughafen Frankfurt sorgt dabei immer wieder für Klagen. Er liegt bei Flugverspätungen nach Angaben der Association of European Airlines (AEA) europaweit auf Platz zwei hinter London Heathrow. Fast jeder vierte innereuropäische Flug aus Frankfurt verzögere sich im Schnitt um 37 Minuten.

Ob es eine maximale zeitliche Grenze für die Verspätung gibt, hat das Landgericht Darmstadt bei der Klage des Paars aus Neustadt offen gelassen. Schon weil der Flug am nächsten Tag dieselbe Nummer hatte, gebe es keinen Ausgleich, so das Gericht. Knapp 300 Euro Ersatz für verfallene Bahntickets, 30 Prozent Minderung des Flugpreises und Verdienstausfall gestanden die Richter dem Paar letztlich zu.

Der 600-Euro-Ausgleich hat mit dem Schaden des Reisenden direkt nichts zu tun. "Damit sollen die Unannehmlichkeiten der Passagiere wiedergutgemacht werden", sagt Cramer. Chancen darauf haben die Kläger, denn die Richter ließen eine Revision zu, weil die Rechtssache grundsätzlich bedeutend sei. Schmid geht davon aus, dass die Sache letztlich zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht. Das sei auch gut, weil ein EuGH-Urteil Juristen dort Orientierung gebe, wo die Verordnung unbestimmt sei. Bis dahin wird es aber wohl noch bis zum Frühjahr 2008 dauern. So muss das Ehepaar tun, was es bereits kennt: warten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!