Dokumentation: „Luftmasse ins Land eingedrungen“
■ Auszüge der Fernsehansprache des stellvertretenden bulgarischen Gesundheitsministers Ljubomir Schindarow am 7. Mai 1986
„Es gibt weder Gefahr für die Gesundheit der Menschen noch Anlaß zur Unruhe. Ich betone, daß es sich nur um eine leicht erhöhte Radioaktivität in verschiedenen Regionen des Landes handelt.
Der Grad dieser Erhöhung ist unbedeutend, und vom medizinischen Standpunkt aus kann man kategorisch behaupten, daß dies keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen bedeutet, auch nicht für Kinder und schwangere Frauen. Nirgends im Lande ist das Trinkwasser radioaktiv.
Anders steht es allerdings mit der Milch. Die Proben der Schafsmilch haben eine erhöhte Radioaktivität ergeben, was mit der Verschmutzung des Grases während der vergangenen Regenfälle zusammenhängt. Das geschah, nachdem die Luftmasse ins Land eingedrungen ist.
Die radioaktiven Teilchen, die am Gras haften, gelangen als Futter in die Milchdrüse und von dort aus in die Milch. Dieser Prozeß wurde rechtzeitig erfaßt, und wir haben den Verbrauch der Schafsmilch gestoppt.
Diese Schafsmilch wird zu dauerhaften Milchprodukten verarbeitet, die gelagert werden, bis die Periode der Gefahr vorüber ist. Dann kann man diese Produkte verwenden.
In bezug auf das frische Gemüse möchte ich betonen, daß in manchen Regionen gegenwärtig eine erhöhte radioaktive Verschmutzung existiert. Das betrifft Blattgemüse wie Salat, Spinat, Lauchzwiebeln usw. Es handelt sich um eine oberflächliche Verschmutzung, das heißt um anhaftende radioaktive Teilchen auf den Blättern und nicht um vom Boden eingesaugte Säfte, die radioaktiv verschmutzt sind.
Wenn das Gemüse mit viel Wasser gewaschen wird, kann ein bedeutender Teil der radioaktiven Teilchen abfallen. Trotzdem empfehlen wir, daß der Verbrauch dieser Art Gemüse begrenzt werden sollte. In bezug auf Frischfleisch sind die Endergebnisse positiv, das heißt, das Fleisch ist nicht verstrahlt. Die Stärke der Radioaktivität, ihr Übergangscharakter, wurde durch eine Tendenz zur Normalisierung abgelöst, und es gab keine Notwendigkeit für die Behörden, zu einer Jodprophylaxe überzugehen.
Andere prophylaktische Maßnahmen sind Maßnahmen zur persönlichen Hygiene. Wir empfehlen, daß kleine Kinder in den folgenden Tagen nicht im Freien spielen und die Mütter regelmäßig die Hände ihrer Kinder waschen sollten.“
Während die Funktionäre so noch Entwarnung gaben, hatten sie bereits begonnen, ihre eigenen Nahrungsmittel einfliegen zu lassen.
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