Lothar Bisky legt EU-Fraktionsvorsitz nieder: Rücktritt des Intellektuellen
Nach zweieinhalb Jahren hört Lothar Bisky als Chef der Europäischen Linken auf. Er verkörpere nicht mehr die Zukunft, erklärte er und schlägt gleich seine Nachfolgerin vor.
BERLIN taz | Vertraute wussten es schon länger. Lothar Bisky, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Linken, tritt zurück. Schon zu Beginn dieser Legislaturperiode hatte er angekündigt, zur Halbzeit zurückzutreten. Nun ist es soweit.
Am Dienstagnachmittag versendete die Parteispitze eine Pressemitteilung, in der Gesine Lötzsch und Klaus Ernst mitteilten, sie „respektierten" Biskys Entscheidung und vedankten ihm viel. Was man so sagt, wenn ein angekündigtes Ereignis eintritt. Seltsam war nur, dass der Dank und der Respekt gezollt wurden, bevor der Betreffende seine Entscheidung der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Vielleicht nur eine Kommunikationspanne.
Lothar Bisky ist im letzten Sommer 70 geworden. Und wenn einer in der Linkspartei in den letzten Jahren immer mal wieder von den Jüngeren gesprochen hat, die man mal ran lassen müsste, dann war er es. Erschöpft wirkte er, mitunter frustriert von den Flügelkämpfen, die sich PDS und WASG geliefert hatten, bevor sie 2007 zur Linkspartei fusionierten. Mitunter hatte man das Gefühl, da leide ein Intellektueller unter der sturen Piefigkeit seiner Genossen. Und nachdem 2008 einer seiner drei Söhne, Stephan, mit nur 23 Jahren starb, fragte man sich, warum dieser Mann sich nun auch noch den Fraktionsvorsitz in Brüssel antut.
Er selbst sagte am Dienstagabend einer Nachrichtenagentur: „Ich bin mit meinen 70 Jahren in einem Lebensalter, in dem ich nicht mehr die Zukunft verkörpere."
Der studierte Philosoph und Kulturwissenschaftler arbeitete in der DDR bis 1980 am Leipziger Institut für Jugendforschung. Anfang der Achtziger wechselte er an die Berliner Humboldt-Universität, schließlich ans Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Ende der Achtziger wurde er Rektor der Potsdamer Filmhochschule. Bisky gehörte von März bis Oktober 1990 der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR an. Von 1993 bis 2000 sowie von 2003 bis zum 15. Juni 2007 war er Bundesvorsitzender der PDS, ab Juli 2005 der Linkspartei.PDS. Vom Juni 2007 bis Mai 2010 war er gemeinsam mit Oskar Lafontaine Co-Vorsitzender der neu gebildeten Linkspartei. Auf dem Parteitag 2010 in Rostock kandidierte er nicht mehr.
Im Juni 2009 wurde Bisky als Spitzenkandidat der Linken ins Europäische Parlament gewählt. Am 24. Juni fand die Wahl zum Vorsitzenden der 35-köpfigen Fraktion mit dem sperrigen Namen GUE/NGL (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke) statt, die Bisky deutlich gewann. Um dieses Mandat auszuüben, gab er seinen Sitz im Bundestag auf. Sein Mandat im Europaparlament wird er nun aber behalten.
Die Frage ist, wer ihm nun als Fraktionsvorsitzender folgt. Der Zurückgetretene selbst hat schon einen Vorschlag gemacht: Gabi Zimmer, seine ewige Sozia, soll es machen. Die 56-Jährige war sowohl seine Vorgängerin als auch seine Nachfolgerin als Parteivorsitzende. Eine glückliche Hand hatte sie dabei nicht.
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