■ Lothar Bisky ist der einzige Kandidat für die Wahl zum Parteivorsitzenden beim heute beginnenden Bundesparteitag der PDS: „Vom Schwarz-Weiß-Schema wegkommen“
taz: Herr Bisky, welches Gefühl hat Sie beschlichen, als Sie die Bilder von der Abreise Honeckers gesehen haben?
Lothar Bisky: Letztlich war ich erleichtert. Es war aber auch ein zwiespältiges Gefühl. Ich habe kein sonderlich positives Verhältnis zu Erich Honecker, aber ich wehre mich dagegen, alle Verantwortung auf ihn zu schieben. Das wäre Geschichtsverdrängung. Ich sehe allerdings auch die Betroffenen, die mit dieser Entscheidung größere Probleme haben.
Gehen die Gerichte zu rigide mit der alten DDR-Staatsführung um?
Bisher habe ich diesen Eindruck nicht. Wo Verstöße gegen das Recht – das DDR-Recht, wohlgemerkt – vorliegen, sind Gerichtsverfahren durchaus angebracht. In der Geschichtsaufarbeitung darf dies aber nicht der einzige Weg sein.
Ihre Partei hat bewußt das Erbe der SED angetreten, auch um die politische Verantwortung zu übernehmen. Die PDS vermittelt aber keineswegs den Eindruck, ihre Geschichte aufzuarbeiten und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Da haben wir wahrscheinlich unterschiedliche Auffassungen. Sie können zu Recht sagen, daß wir uns damit umfangreicher befassen müßten – nur: einiges haben wir schon getan. Wir haben Konferenzen durchgeführt. Und, wichtiger: Wir haben in der so gescholtenen Basis eine sehr intensive Auseinandersetzung. Andere Parteien aus der früheren DDR haben sich dazu noch nicht durchringen können. Es gibt aber einige Felder, denen wir uns noch zuwenden müssen, etwa die Entwicklungen in der Zeit der Wende.
In der Öffentlichkeit wird die Vergangenheitsbewältigung der PDS vor allem an zwei Punkten gemessen: dem Umgang mit dem Parteivermögen und dem Umgang mit Stasi-belasteten Parteimitgliedern.
Aus heutiger Sicht kann man sagen, daß es besser gewesen wäre, das Parteivermögen rascher und eindeutiger an den damaligen Staat DDR abzuführen. Allerdings sagt sich das heute einfach. Ich weiß, welchen Druck es gegeben hat und wie schwierig es allein schon war, überhaupt einen Überblick über das Vermögen der SED zu bekommen. Wir haben ohne Zweifel grobe Fehler gemacht. Der Finanzskandal konnte nur in einer Atmosphäre der Verunsicherung und der Beschlußlücken geschehen.
Was den Umgang mit der Staatssicherheit anlangt, glaube ich, keine Partei kann sich sicher sein, daß es bei allen Beteiligten die Bereitschaft gibt, sich in der gegenwärtigen Stimmungslage zu offenbaren. Deshalb ist der in der PDS gefaßte MfS-Beschluß wichtig. Dazu gehört aber auch die Erklärung des Vorstandes, daß man die Staatssicherheit in den geschichtlichen Rahmen stellen muß und sie nicht als universellen Buhmann hinstellen kann. Daß die PDS besondere Probleme hat, ist klar. Sie kann sich aufgrund ihrer Geschichte nicht von vorneherein von all diesen Vorgängen distanzieren. Ein Zurück in dem Sinne: „Lassen wir das, weil das öffentliche Klima eine differenzierte Auseinandersetzung nicht zuläßt“, wäre für mich die mittlere Katastrophe.
Trügt der Eindruck, daß diese „mittlere Katastrophe“ schon breite Stimmungslage in PDS ist?
Prägende Stimmungslage ist das nicht.
Sie fungieren auch als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu Manfred Stolpe. Hat der Fall Stolpe die Form der Vergangenheitsbewältigung wesentlich beeinflußt?
Er wird dazu beitragen.
In der Form, wie es zur Zeit in Brandenburg passiert? Dort hat sich der Gärtner im öffentlichen Dienst bei der Stasi-Überprüfung doch zur Zeit anderen Kriterien zu stellen als der Landesvater?
Es muß gleiches Recht für alle gelten. Das darf aber nicht zu dem Schluß führen, nun mit Stolpe undifferenzierter umzugehen. Indem man in seinem Fall die ganze Widersprüchlichkeit aufdeckt, kann man dazu beitragen, daß erneut über den Umgang mit der Stasi allgemeiner nachgedacht wird.
Sie haben in Ihrer eigenen Partei die Tendenz kritisiert, jeder wolle das weißeste unter den Schafen sein. Sie selber gefallen sich eher als das schwärzeste unter den schwarzen Schafen.
Das war eine aphoristische Aussage. Es steht der PDS nicht gut zu Gesicht, wenn ihre Mitglieder untereinander nur fragen, wer von uns hat mehr oder weniger Schlechtes getan. Wir sollten unsere Biographien offenlegen, aber ich werde meine nicht zu einer „Widerstandsbiographie“ schönen lassen. Mein Engagement war schon sehr bewußt. Wir müssen uns sachlich darüber verständigen, was früher war.
Die Biographie offenlegen fällt vielen anscheinend leichter, wenn damit keine Sanktionen verbunden sind. Läuft Ihre Argumentation nicht darauf hinaus, daß der MfS-Beschluß gestrichen wird?
Das heißt es nicht. Das ist auch unbestritten. Wer zu Lasten Dritter tätig war oder sich menschlich unanständig verhalten hat, der gehört nicht in eine Wahlfunktion, auch nicht in der PDS. Es muß auf den Tisch, was einer war und was er getan hat. Aber nicht in dem Sinn, ihn zu beschädigen.
Werden in der PDS derzeit die Gruppen stärker, die sagen: Die Auseinandersetzung um die Vergangenheit wird angesichts der Probleme im Vereinigungsprozeß nur dazu mißbraucht, diejenigen zu diskreditieren, die einen legitimen Versuch für einen Sozialismus auf deutschem Boden unternommen haben?
An dem Vorwurf ist ja was dran. Ich bin aber trotzdem kein Nostalgiker. Ich möchte, daß wir von diesem Schwarz-Weiß-Schema „alles schlecht“ oder „alles gut“ wegkommen. Was in der DDR schlecht gemacht wurde, müssen wir beim Namen nennen. Wir dürfen aber nicht so tun, als hätte es in der DDR 16 Millionen Leidende gegeben. Ich möchte nicht, daß nun den verbliebenen 155.000 PDS-Mitgliedern alleine vorgehalten wird: ihr wart die einzigen, die dabei waren, und der Rest war dagegen. Es gibt kein Zurück zur DDR, sie ist an den eigenen Fehlern zusammengebrochen.
Auf dem Berliner Landesparteitag im Herbst ist die Frage der IM-Tätigkeit Gradmesser für den Umgang zwischen den Flügeln gewesen. Erwarten Sie Ähnliches für den Bundesparteitag?
Ich denke, daß dort energisch gestritten wird. Damit kann ich leben. Ich hoffe aber, daß sich die Vernunft durchsetzt.
Hat die PDS dann bessere Bedingungen, auch im Westen Fuß zu fassen?
Selbstverständlich ist unser Umgang mit der Geschichte auch für die Bürger in der alten Bundesrepublik eine wichtige Frage. Dies hängt aber auch davon ab, was wir an Politik anzubieten haben...
...als da wäre?
Ich habe kein Rezept in der Tasche. Wir müssen erst einmal ein sachlicheres Bild vermitteln, was die PDS ist, was sie will, auch was sie war. Wir werden zwar keine Massenpartei im Westen werden, aber ein paar Mitglieder, Wähler oder Sympathisanten können wir schon bekommen.
Wenn Gregor Gysi nach Bonn geht und Lothar Bisky nach Berlin, wie wird dann die Arbeitsteilung sein?
Die Schwerpunkte für Gysi sind die Bundestagsgruppe in Bonn und sein verstärktes Engagement in den alten Bundesländern. Ich werde mich mehr um die Ostländer kümmern und versuchen, die Erfahrungen vor Ort verstärkt im Bundesvorstand einzubringen.
Dann werden Sie wohl auch den Spagat übernehmen, zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei zu vermitteln.
Ich kann keinen Spagat machen. Ich kann nur tun, was ich meine zu können. Man kann ja zehn Stunden miteinander streiten. Aber irgendwann möchte man dann doch zu einem Ergebnis kommen. Es müssen Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt werden, an denen man sich dann ausrichtet. Ich mache auch eine Fixierung auf den Vorsitzenden nicht mit. Eine der Voraussetzungen für meine Kandidatur ist, daß der MfS-Beschluß zusammen mit der Erklärung des Vorstandes erhalten bleibt. Wichtig ist mir auch, daß mit den Programmentwürfen vernünftig umgegangen wird. Wir können ja nicht unendlich weiterdiskutieren. Ferner geht es mir darum, daß der Beschluß „Wiederaneignung der Politik“ umgesetzt wird. Wenn alles drei nun gestrichen werden sollte, dann weiß ich nicht, was ich als Parteivorsitzender soll. Wenn das, was einem substantiell wichtig ist, durch Entscheidungen der Delegierten blockiert wird, dann muß man sich fragen, ob man der richtige Kandidat ist. Das werde ich in einem solchen Fall auch tun.
Liegt eine Perspektive für die PDS eher in den neuen Bundesländern oder in einer gesamtdeutschen Partei?
Die PDS ist in einer schwierigen geschichtlichen Situation. Auf Dauer wird sie nur gesamtdeutsch etwas bringen. Ich kann mir aber vorstellen, daß die PDS im Osten wie bisher relativ stabil bleibt und allmählich im Westen Leute gewinnt.
Trügt der Eindruck, daß die Attraktivität der PDS in den alten Bundesländer vor zwei Jahren größer war als heute?
Das kann sein. Wir waren damals Exoten, bunte Vögel, die aus dieser so starren SED hervorgegangen waren. Das ist weg.
Womit imponieren Sie heute?
Mit Personen und Programmen, mit durchdachten Politikangeboten. Es gibt heute mehr Menschen, die sich der globalen Probleme, der ökologischen Fragen und der sozialen Fragen bewußt sind...
...diese Fragen thematisieren aber auch andere Parteien.
Aber nicht in der Weise, wie die PDS das tun muß. Mich treibt auch eine gewisse Wut um, was die Stigmatisierung der PDS angeht. Ich möchte gerne dagegen angehen. Ich bin überzeugt, daß wir das intellektuelle Potential haben, um andere Politikangebote zu formulieren, wie es die SPD oder die Grünen tun.
Was ist dieses andere?
Die SPD hat einen gewissen Schwenk nach rechts vollzogen. Aber ich möchte nicht nur frei werdende Felder besetzen. Ich denke, daß wir in bezug auf Asyl, Paragraph 218 und Blauhelme erstmals andere Angebote gemacht haben.
Sie haben einmal gesagt, die PDS ist weniger eine normale Partei, als vielmehr eine „Selbsthilfegruppe“. Von einer Selbsthilfegruppe ist es nicht weit zum Traditionsverein.
Natürlich ist für viele Menschen, die für die sozialistische Lebensordnung eingetreten waren, mit dem Ende der DDR ein Lebenswerk zusammengebrochen. Das schafft psychische Probleme. Da ist die PDS auch gut als Ort, an dem man sich findet, um darüber zu reden. Das ist aber nicht ihre erste Aufgabe – sonst wäre sie in der Tat ein Traditionsverein. Ich kann damit leben, daß wir Mitglieder haben, die sich freuen, einmal im Monat zu kommen und ihren Frust ablassen. Das Gespräch führten
Wolfgang Gast und Dieter Rulff
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