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„Look Now“ von Elvis CostelloNicht einfach alles rauslassen!

Der Brite Elvis Costello ist ein begnadeter Komponist und Textschmied, das beweist seine Platte „Look Now“. Warum bleibt seine Renaissance bislang aus?

Kein flamboyanter Bowie, dennoch eigensinnig: der Musiker Elvis Costello Foto: James O'Mara

„Wird es mir das Herz brechen, wenn mir keiner mehr zuhört?“, fragt Elvis Costello. „Wahrscheinlich nicht. Nach all der Zeit muss man davon ausgehen. Einige Leute meinen, dass Alben keine Bedeutung mehr haben. Das ist Quatsch! Sie bedeuten als kulturelles Format nach wie vor eine ganze Menge. Zumindest sind sie Aufzeichnungen davon, wie wir uns fühlen. Wie Kritzeleien an Höhlenwänden oder Graffiti in einer Gefängniszelle.“

Seinem neuen, insgesamt 39. Album „Look Now“ stellt der britische Künstler, der bürgerlich Declan MacManus heißt, solche Zeilen voran; die Liner Notes haben insgesamt die Länge einer Novelle. Neben einer Analyse des Aufnahmeprozesses und Charakterisierungen seiner Kollaborateure finden sich dort Reflexionen und Betrachtungen des eigenen Werks. Einmal spottet Costello, dass die Plattenfirma, die seinen Marktwert genau kalkuliert habe, nur noch auf sein Ableben warte, um mit posthumen Käufen noch einmal Kasse zu machen. An diesem Punkt in seiner Karriere sähe er sich jedoch keineswegs.

Es scheint naheliegend, dass diese Grübeleien, im Sommer niedergeschrieben, von Costellos damals diagnostizierter und mittlerweile gut behandelter Krebserkrankung ausgelöst wurden. Im Gespräch rudert er nämlich, wieder genesen, ein wenig zurück und setzt seine Äußerungen in den Kontext eines Strukturwandels der Musikindustrie.

„Ich lebe nicht in einer Traumwelt, in der Millionen von Menschen mein neues Album hören werden“, sagt er. „Das werden sie nicht. Ständig passiert so viel, und es gibt so viel zu tun und zu hören, dass es den Leuten schwer fällt, den Wert einer Sache zu sehen. Als meine ersten Alben in den Siebzigern draußen waren, wurde ich jede Woche angerufen, und sie haben mir die Verkaufszahlen mitgeteilt. Ein paar Hundert verkaufte Exemplare, dann ein paar Tausend, dann Zehntausend, Hunderttausend. Ab einem gewissen Punkt ging es nicht mehr weiter.“

Wie der andere Elvis

1977 veröffentlichte Costello sein Debütalbum, „My Aim Is True“, zwölf dicht arrangierte, sauber komponierte Power-Pop-Nummern, charakterisiert vor allem durch seine heisere Stimme, der man die Jahre auf kleinen Bühnen und Pubs deutlich anhört. Während er für viele 40- bis 60-Jährige darum eine Ikone ist – Costello steht im Zusammenhang mit Punk und New Wave –, haben die Kinder und Kindeskinder seinen Namen bestenfalls mal gehört. Wieso bleibt die Costello-Renaissance aus? An den tollen Liedern liegt es nicht. Entspricht Costello als weißer, notorisch schlecht gelaunter, heterosexueller Künstler einem gerade unerwünschtem Profil?

Vielleicht ist ja auch die Umtriebigkeit das Problem. Er hat fast drei Dutzend Alben in vier Jahrzehnten veröffentlicht, probiert sich in völlig verschiedenen Stilrichtungen aus, zuletzt vor allem in unsexy Genres wie „Adult Contemporary“, da ist der Zugang schwer und der Überblick auch. Die Diskografie David Bowies zum Beispiel erscheint ähnlich unübersichtlich, aber den kennt jede 20-Jährige. Weil Bowie flamboyanter, fluider ist. Und verstorben. An dem Punkt seiner Karriere, wie gesagt, ist Costello noch nicht.

Costello spielt üppig orchestrierte Songs, wie sie der andere Elvis gut in Las Vegas hätte singen können

„Look Now“, sein neues Album – das erste seit fünf Jahren –, ist ziemlich gut geworden. Musikalisch sind die zwölf Lieder pianistisch grundiert, üppig orchestriert, es sind Songs, wie sie der andere Elvis gut in Las Vegas hätte singen können. Mal klingt es nach Motown-Soul mit mächtigem Backbeat, zum Beispiel die exzellente Single „Unwanted Number“, in deren Strophe Costello in der für ihn typischen Art eine Menge Silben pro Zeile unterkriegt und jeder eine eigene Note gibt.

Die Schichten freilegen

„Look Now“ besteht aus zwölf Storysongs, Liedern, in denen Costello eindeutig die Perspektive einer Erzählfigur einnimmt, die mit seiner Person auf den ersten Blick wenig gemein hat. In der schönen Ballade „Stripping Paper“ singt er zum Beispiel aus Sicht einer unglücklich verheirateten Frau, die in einer manischen Episode die Tapeten in ihrem Haus herunterreißt und sich mit jeder freigelegten Schicht gedanklich tiefer in ihre Vergangenheit bewegt.

„Die Lieder sind autobiografisch, absolut“, erklärt Costello. „In dem Sinne, dass sie aus mir herausgekommen sind und Gedanken von mir beinhalten, selbst wenn diese durch eine erfundene Figur ausgedrückt werden. Nichts ist persönlicher als ein Gedanke. Es gibt ja eine Menge Songwriter, die meinen, Ehrlichkeit wäre das Alibi für mangelhafte Qualität. Als würde ein schlechtes Lied dadurch besser, dass das, was da besungen wird, wirklich passiert ist. So läuft es nicht. Es braucht schon Technik, sonst wird nur heiße Luft transportiert. Andernfalls ist es schlicht Inkontinenz. Man lässt einfach etwas heraus.“

Das Album

Elvis Costello & The Imposters: „Look Now“ (Concord/Universal)

Es war nicht leicht, „Look Now“ finanziert zu bekommen, zumal Costello ja ein Album mit anständigen Produktionswerten vorschwebte, ein richtiges Studiowerk mit aufwendigen Arrangements. „Ich kümmere mich nicht um den kommerziellen Aspekt, dafür sind andere zuständig“, sagt er leicht säuerlich. „Ich will denen nicht ihre Arbeit wegnehmen, und die sollen mir nicht meine Arbeit wegnehmen.“ Seine künstlerischen Entscheidungen haben schon häufig Leute irritiert. „Ich bin Anfang der Achtziger nach Nashville gegangen und habe ein Country-Album aufgenommen, und mein Publikum war entsetzt“, sagt er.

Wenn heute die Nostalgie seiner Zuhörerschaft nicht einfach Wertschätzung sei, sondern der Imperativ, nicht zu experimentieren, verliere er die Geduld. „Wer daran nicht interessiert ist, hat ja das Recht, wegzuhören“, sagt er. „So wie ich das Recht habe, das zu machen, was ich will. Und irgendwer wird mir schon zuhören!“

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