■ Lohnverzicht der Bergleute verhindert Absturz: Teilen in der Klasse
Von Verzicht reden viele. Vor allem die, die es besonders dicke haben, gefallen sich darin, von jenen Opfer zu verlangen, die nichts weiter verkaufen können als ihre Arbeitskraft. Daß es solchen Appellen von Unternehmern und Politikern an jeglicher moralischer Berechtigung mangelt, belegt jede Einkommensstatistik. Zwischen 1982 und 1991 kletterten die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen nach den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) um 123 Prozent. Die Einkommen der Lohnabhängigen stiegen dagegen nur um 44 Prozent. Netto konnte ein Arbeitnehmerhaushalt in diesen zehn Jahren sein Einkommen gerade mal um 10 Prozent steigern. Die Selbständigen erzielten dagegen einen realen Zuwachs von 60 Prozent.
Der Abstand zwischen Arm und Reich wird immer größer. Gerade deshalb steht es den Gewerkschaften gut an, das obszöne Verzichtsgeschrei der Raffkes aus Wirtschaft und Politik zurückzuweisen und die bescheidenen Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse ihrer Mitglieder zu verteidigen. Noch während jeder normalen zyklischen kapitalistischen Krise fiel das schwer, aber so düster wie heute waren die Aussichten nie.
Mit klassischer Tarifpolitik ist nicht mehr viel auszurichten, wenn sechs Millionen Menschen einen bezahlten Job suchen. Auch die Hoffnungen auf den nächsten Aufschwung gehen ins Leere. Die steigende Produktivität führt dazu, daß selbst bei wirtschaftlichem Wachstum kaum mehr Arbeitskräfte gebraucht werden. Immer mehr Reichtum kann mit weniger Arbeit geschaffen werden. Es kommt also auf die Verteilung an – von Arbeit und von Einkommen. Weil die Solidarität zwischen oben und unten, zwischen den Klassen in der Gesellschaft nicht funktioniert, richten sich die Augen vieler auf die Gewerkschaften. Doch der gewerkschaftliche Tarifkampf war noch selten in der Lage, politische Niederlagen mittels Tarifvertrag wettzumachen. Weil die Gewerkschaften den gesellschaftlichen Solidarpakt nicht erzwingen können, bleibt ihnen nur, das zu teilen, was sie in besseren Zeiten erstritten haben.
Auf der Tagesordnung steht deshalb das Teilen in der Klasse. Was die IG Metall bei VW vorgemacht hat, hat die IGBE im Ruhrkohlebergbau nun nachvollzogen. In beiden Fällen geht es um eine Krisenintervention, um die Vermeidung konkreter sozialer Gefahren für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe. Ein zukunftsfähiger Kurs für die Gesellschaft insgesamt kann daraus nur entstehen, wenn aus dem „Solidarausgleich“ der Bergleute ein „Solidarausgleich“ in der Gesamtgesellschaft erwächst. Walter Jakobs
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