: Lohnverhältnis miserabel
■ Präsident des DDR-Arbeitslosenverbandes zum Tarifabschluß
INTERVIEW
taz: Sind die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst ein Erfolg?
Klaus Grähn: Im wesentlichen handelt es sich doch nur um eine Teuerungszulage, das ist ja nicht mal eine Lohnerhöhung. Es ist ein Ausgleich, um das Existenzminimum zu halten.
Für die Arbeitslosen im öffentlichen Dienst hat das erstmal keine Konsequenzen, weil zur Berechnung des Arbeitslosengeldes das Durchschnittsgehalt der letzten 12 Monate zugrunde gelegt wird. Sie bleiben bei dem Mindestarbeitslosengeld von 495 DM stehen. Und selbst wenn jemand aus dem öffentlichen Dienst jetzt eine Lohnerhöhung bekommt, dann muß man im Falle der Entlassung die 200 DM durch zwölf teilen und davon 68 Prozent - das wäre dann identisch mit der Erhöhung seines Arbeitslosengeldes.
Wird die Erhöhung der Tarife zu vermehrten Entlassungen führen?
Ich teile die Auffassung der Gewerkschaft, daß ein solcher Teuerungsausgleich nicht ursächlich für den Arbeitsplatzabbau oder für steigende Arbeitslosigkeit ist. Sicher sind Rationalisierungen nötig - aber die sind unabhängig von einer Gehaltserhöhung.
Ursächlich für steigende Arbeitslosigkeit sind aber vorrangig fehlende Investitionen sowie ein fehlendes Struktur- bzw. wirtschaftspolitisches Konzept. Ursächlich für steigende Arbeitslosigkeit ist auch, daß das Geld, was aus der BRD kommt, nicht hier bleibt. Es fließt wieder zurück - zum Beispiel dadurch, daß die Leute lieber dort kaufen als hier.
Abgesehen davon - was erwartet man denn von den DDR -Bürgern? Wie weit sollen sie denn unter dem Existenzminimum gehalten werden? Selbst bei dieser Lohnerhöhung bleibt das Lohnverhältnis mindestens eins zu zwei. Trotz der Lohnerhöhung verdient also der DDR-Bürger die Hälfte von dem, was der Bundesbürger verdient. Und: wieviel Arbeitsplätze gehen hier dadurch verloren, daß BRD-Bürger bei uns Arbeitsplätze besetzen - in den Verwaltungen, als Berater und in den Betrieben. Das hat noch niemand genau gesagt.
Interview: Martina Habersetzer
Siehe auch Berliner Lokalteil
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