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Lohnliste der Stasi liegt im Westen vor

■ Verfassungschutz kennt die Namen und Funktionen der 100.000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter

Berlin (taz) — Lange hatten es kritische Geheimdienstexperten nur vermutet, jetzt muß es als definitiv gelten: Dem Verfassungsschutz „sind alle Namen der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bekannt“. Das bestätigten gestern hohe Sicherheitsbeamte gegenüber der taz. Selbstverständlich verrät keiner der Herren, wie das Bundesamt und die Landesämter in den Besitz von „rund 100.000 Namen“ geraten ist — immerhin könnten sich die Überbringer außerhalb der Legalität bewegt haben. Doch an ihrem Kenntnisstand lassen sie keinen Zweifel: „Selbstverständlich hat der Verfassungsschutz großes Interesse daran, die Leute hundertprozentig zu erfassen.“

Nach Informationen der taz kann davon ausgegangen werden, daß der Verfassungsschutz in den Besitz einer kompletten Gehaltsabrechnung des MfS für das Jahr 1989 gelangt ist. Diese, auf einem Magnetband gespeicherten Daten zählen zu den wenigen nicht während des Auflösungsprozesses manipulierten Unterlagen. Sie wurden nur eine Woche vor dem „Sturm“ auf das Berliner Stasi-Hauptquartier angefertigt. Aus den Listen läßt sich namentlich ermitteln, wer welche Funktion in Mielkes Überwachungsapparat innehatte — von der Sekretärin, über den „Offizier im besonderen Einsatz“ bis hin zum besonders getarnten „unbekannten Mitarbeiter“. Gestern berichtete 'Der Morgen‘ die Namen und Einsatzorte sämtlicher Stasi-Mitarbeiter seien dem Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern bekannt.

Wenig überrascht reagierte die neue Stasi-Akten-Behörde in Berlin. Präsident Gaucks persönlicher Referent, Christian Ladwig, zur taz: „Ich halte es für durchaus möglich daß der Verfassungsschutz diese Unterlagen hat.“ Das Original des bei der Armee im Sommer sichergestellten Magnetbandes befand sich, wie alle anderen Karteien bis zum Tag der deutschen Einheit, dem 3. Oktober, in Händen des „Staatlichen Komitees zur Auflösung des MfS“. Wieviele Kopien gezogen wurden, ist unbekannt. Ob und wie der VS bereits mit den Materialien arbeitet, ist in Sicherheitskreisen umstritten. Offiziell sind dem Amt die Hände gebunden. Erst vor zwei Tagen hatten die Verfassungsschutzchefs Lochte (Hamburg) und Scheicher (Hessen) Zugang zu den Akten gefordert. Scheicher plädierte dafür Jochen Gauck, den Präsidenten der neuen Behörde, gegen einen Verfassungsrichter auszuwechseln. SEITE 2

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