Lobbyisten in Brüssel: Das Dickicht lichtet sich
Die EU-Kommission zieht ein Jahr nach der Einführung eines freiwilligen Lobbyregisters eine positive Bilanz. Probleme gebe es an zwei Stellen: Bei Anwaltskanzleien und bei Thinktanks.
BRÜSSEL taz | Nach einem Jahr Laufzeit sieht die EU-Kommission ihr freiwilliges Lobbyistenregister als vollen Erfolg. Gérard Legris aus der zuständigen Fachabteilung berichtete gestern stolz, es hätten sich bereits 2.100 Organisationen und Verbände eingetragen.
Auf die Frage, was denn mit den übrigen 13.000 in Brüssel arbeitenden Lobbyisten sei, reagierte seine Pressesprecherin gereizt. "Für diese Zahl gibt es keinerlei Faktenbasis. Mit diesem Mythos wollen wir ja gerade aufräumen, indem wir das Register führen."
Doch die Kommission sieht sich außer Stande, eigene Schätzungen auf den Tisch zu legen oder wenigstens die ständig bei der Kommission antichambrierenden Lobbyisten zu zählen. Dennoch lobt Legris die "sehr befriedigende Teilnahme". Es seien "praktisch alle großen Büros und Netzwerke" eingetragen. Probleme gebe es lediglich mit zwei Kategorien: Anwaltskanzleien und Thinktanks.
Die Anwälte berufen sich auf Standesrecht, das ihnen angeblich verbietet, Daten über ihre Kunden und deren Umsatz offenzulegen. Die Stiftungen und Denkfabriken sehen sich nicht als Einflussgruppen im klassischen Sinn und glauben, dass sie nicht in eine Lobbyistenliste gehören. Immerhin, so Legris, hätten die meisten NGOs sich inzwischen eingetragen. "Sie zögerten zunächst, da sie glaubten, das Register sei nur für Wirtschaftsvertreter. Inzwischen haben sie verstanden, dass es eine sehr viel größere Reichweite hat."
ALTER-EU, das Brüsseler Netzwerk für Lobbytransparenz, lobt, dass die EU-Kommission den Begriff Lobbying inzwischen klarer definiert hat und dass die eingetragenen Verbände angeben müssen, wie viele Mitarbeiter sie beschäftigen.
Doch noch immer sei es möglich, umsatzstarke Kunden unter den Tisch fallen zu lassen. Da im Register nur der Verbandsname, nicht aber die Namen der Mitarbeiter eingetragen seien, bleibe die Branche in der Grauzone. "Das Register ist mit einer wachsenden Zahl von Organisationen zugemüllt, die mit EU-Lobbyismus kaum etwas zu tun haben", kritisiert Erik Wesselius vom Corporate Europe Observatory. Auch würden veraltete Kundenlisten oder Änderungen in der Verbandsstruktur nicht aktualisiert.
Gegen den Boykott der Liste durch Anwaltsfirmen und Denkfabriken werde nichts unternommen. ALTER-EU glaubt, dass weniger als ein Drittel der in Brüssel ansässigen Interessenvertreter sich registriert haben. Weder British Airways noch Eon, Nokia oder Monsanto hätten sich bislang eingetragen.
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