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Liverpool zermürbt Real MadridStrategisch perfekt

Liverpool übernimmt in Madrid die totale Kontrolle und überfordert Real mit kalkulierendem Hinspielfußball.

Da hat's geklingelt: Liverpool bejubelt das 1:0, Madrids Keeper Cassilas ist geschlagen. Bild: ap

MADRID taz Den schwer unterschätzten Vorteil des nordenglischen Wetters hat Rafael Benítez in fünf Jahren in Liverpool entdeckt. Bei diesem Wind und Regen kann man ohne Gewissensbisse den Stubenhocker geben. Wenn im Winter kurz nach 16 Uhr die Nacht über Liverpool fällt, gräbt sich Benítez ein. Er sagt, er spiele dann strategische Brettspiele. Sein liebstes heißt "Risiko". Und wer seinen FC Liverpool am Mittwoch in Madrid beim 1:0-Sieg über Real spielen sah, bekam einen Verdacht, wie Benítez am Wohnzimmertisch seine Frau quält: Vermutlich spielt er selbst "Risiko", ohne etwas zu riskieren.

"Seinen Teams erteilt er nur einen Auftrag", schrieb Reals Held der Neunziger, Michel, am Morgen danach im Sportblatt Marca: "Sie langweilen den Gegner und die Zuschauer zu Tode." Der Brettspieler schob die Figuren auf dem Rasen herum, sodass in ihrer vorzüglichen defensiven Ordnung zum Spielen kein Platz blieb. Liverpool strebte weniger nach dem Ball als nach der totalen Kontrolle und fand ein Tor, das sie kaum gesucht hatten, in der 82. Minute durch Yossi Benayoun, nach einer Freistoßflanke, Benítez Lieblingsspielzug. Europapokal-Hinspiele offenbaren zu oft den Charakterzug des Menschen, angstvoll nur daran zu denken, was er verlieren könnte, und Benítez, der Liverpool dreimal ins Champions-League-Halbfinale und 2005 zum Sieg führte, ist der Meister des kalkulierenden Hinspielfußballs. Schon das Hinspiel hat alle endgültigen Erkenntnisse dieses Schlagers geliefert: Real Madrid hat seit dem Trainerwechsel zu Juande Ramos im Dezember den Anarchistenfußball seines Vorgängers Bernd Schuster hinter sich gelassen, aber für höchste Gegner wie Liverpool besitzt es unverändert weder Inspiration noch Tempo.

Das Leben als Benítez Brettfigur lässt einen manchmal verzweifeln, Liverpools Kapitän Steven Gerrard sagte einmal: "Benítez ist freundlich, aber als Menschen interessieren wir ihn nicht. Wir sind Teile seiner Maschine. Für ihn bin ich Steven Gerrard, Fußballer, und niemals Steven Gerrard Fleisch, Blut und Gefühle." Am Mittwoch war Gerrard nach vierwöchiger Verletzung wieder bereit. Und Benítez ließ die Ikone seiner Elf bis drei Minuten vor Ende auf der Ersatzbank. Von Benítez in jüngster Zeit im Niemandsland zwischen Sturm und Mittelfeld offensiver denn je eingesetzt, steht Gerrard für das neue, spielerische Element, das Liverpool durchaus entwickelt hat. Sein Fehlen am Mittwoch aber symbolisierte, dass, wenn es ernst wird, sie immer nur Ordnungsfanatiker bleiben werden. Von einem majestätischen Xabi Alonso angeführt, verstopften sie Madrids Wege. Real wusste sich nicht zu wehren. Dazu ist ihr Spiel zu eindimensional. Sie haben keinen Stoßstürmer und nur Arjen Robben, der den Spielrhythmus wechseln könnte. So passten sie den Ball immer weiter in den Fuß - der, der den Ball empfing, stand meist mit dem Rücken zum Tor und schon waren zwei Gegner da. Nur ein paar feine Details von Alonso oder Dirk Kuyt, einem Stürmer mit wunderbarem Sinn für den nächsten Moment, ließen ahnen, dass Liverpool - anders als vor zwei, drei Jahren - auch anders könnte. Wenn Benítez sie mal lässt.

Wenn er in der englischen Dunkelheit einmal einen Reporter trifft, der Spanisch spricht, offenbart Benítez oft seine menschliche Seite. Er erzählt dann von der Sehnsucht nach sonnigen Madrider Spaziergängen und seiner Ohnmacht, wenn ihm in der Hitze der Halbzeit nicht der exakte englische Begriff einfällt. Doch sein Liverpool wirkt so gedrillt, als übertrage der Trainer Gedanken. Was Benítez bleibt, ist, die Konstanz zu finden. In einem trüben Januar ist seine Elf in der englischen Liga, die dem Klub seit 19 Jahren widersteht, sieben Punkte hinter Manchester United zurückgefallen. Welche Besessenheit der nationale Titel für Liverpool ist, hat Benítez sogar seiner Frau klargemacht. Ihr schenkte er ein Buch; oder besser gesagt, er gab ihr auf: Das müsse sie lesen. Es war die Autobiografie von Bill Shankly, Liverpools historischem Trainer.

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2 Kommentare

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  • P
    Pessilist

    Wieso habe ich ein schlechtes Gefühl angesichts der Tatsache, dass ich den gleichen Artikel heute morgen in der "Sueddeutschen" gelesen habe? Hier läuft doch irgendwas verdammt schief! Oder übertreibe ich mal wieder?

  • A
    anteater

    "Ihr schenkte er ein Buch; oder besser gesagt, er gab ihr auf: Das müsse sie lesen. Es war die Autobiografie von Bill Shankly, Liverpools historischem Trainer."

     

    Vielleicht hätte sie ihm gegenüber erwähnen sollen, was besagter Shankly dereinst über die Bedeutung des Ligatitels für Liverpool F.C. erwähnte: "That's our bread and butter". Benítez lässt die Fans, abgesehen von der ein oder anderen Wurstscheibe in der Champions League, verhungern.