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■ Live hard, die young: Die taz-TodesanzeigenPlattdeutsch, freihändig gemalt

Die ersten Todesanzeigen in der taz waren noch ungefähr so sensationell wie Todesanzeigen in einer Schülerzeitung. Inzwischen sind es jedes Wochenende ein paar, und es werden immer mehr. Mancher, der an Aids gestorben ist, findet seinen Namen plötzlich in der taz und – vor allem – so mancher politischer Kämpfer. Die taz-Gründergeneration stirbt aus. Die 68er sterben aus. Dem politischen Verfall folgt der physische.

Die heutigen taz-Toten sind meist um die fünfzig, der Managertod, die erste Welle sozusagen. In 20 Jahren, wenn's die taz dann noch gibt, werden die schwarzen Kästen wohl die Hälfte ihres Anzeigenaufkommens ausmachen. Die Veröffentlichung des plötzlichen Ablebens der heutigen taz-Toten fällt ganz ähnlich aus wie bei ihren Großeltern, nur ein kleines bißchen spontimäßiger. Der Trauerrand wird gleichsam nicht mehr mit dem Lineal gezogen, sondern freihändig gemalt.

In der taz vom 3. Februar 1996 finden sich fünf Todesanzeigen für einen armen, weil toten Menschen namens M. Fünf Todesanzeigen auf einmal! Mein Freund Rolf hat sie auch gesehen und fragt mich: „Du kennst dich doch da aus. Wer warn das?“ Ich muß passen. Aber schauen wir mal.

Die erste Anzeige: „M. ist stürben. Ick heb en leeven Fründ und en politischen Mitstrieder verloorn – Gila Altmann.“ Ich kann kein Platt, aber ich habe das tröstliche Gefühl, daß in diesem Dialekt der Begriff „politischer Mitstreiter“ nicht existiert. Gila (eigentlich: Gisela) Altmann, soviel fällt mir noch ein, ist eine grüne Abgeordnete, die 1995 kurz zu Berühmtheit gelangte, weil sie darauf bestand, in Veröffentlichungen des Bundestags und im parlamentarischen Schriftverkehr Gila genannt zu werden. Die Bundestagsverwaltung teilte damals mit, daß es „keinen durchgreifenden Grund“ gebe, dem Wunsch nicht zu entsprechen. Ob Frau Altmann im Bundestag auch das Duzen durchgesetzt und damit das letzte Ziel ihres Marschs durch die Institutionen erreicht hat, weiß ich nicht.

Die zweite Anzeige für M. beginnt mit einem Zitat aus dem Adorno-Evangelium „Minima Moralia“: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Dufter Spruch, bloß das mit dem richtigen Leben im falschen hab' ich noch nie so ganz verstanden. Und in diesem Zusammenhang begreif ich's erst recht nicht. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Was soll das heißen? Na, da sei man froh, M., daß du nu tot bist?

Die dritte Anzeige: „M. ist tot.“ (Das wissen wir jetzt schon.) „Wir haben einen Freund, engagierten Mitarbeiter und Kollegen verloren. Er wird uns mit seinem Humor und seinem Engagement fehlen. Unterzeichnet von Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion und Betriebsrat.“ Das klingt nüchtern, trotzdem sind mir da die Anzeigen im Tagesspiegel lieber, die ungefähr so lauten: „Frau Lehmann hat uns verlassen. 37 Jahre lang hat sie unserem Betrieb treu gedient und nie was falsch gemacht. Sie war eine echte Ulknudel. Wir werden ihr stets ein ehrendes Angedenken bewahren. Bewag – der Vorstand, der Personalrat.“

Die vierte Annonce, unterzeichnet mit Bündnis 90/Die Grünen, Bundesgeschäftsstelle, Bundesvorstand, Landesverband NRW, Kreisverband Bonn, Ratsfraktion der Stadt Bonn beginnt mit einem Gedicht von Erich Fried, dem Adorno für Doofe: „Wer will / daß die Welt / so bleibt/ wie sie ist / der will nicht / daß sie bleibt.“ Dabei müßte doch gerade diese Partei nur zehn Sekunden nachdenken, um auf folgendes zu kommen: Wer will / daß der Kapitalismus / so bleibt / wie er ist / nur ein bißchen moderner / und ein bißchen ökologischer / der will / daß er bleibt.

Und dann: „Die Trauerfeier wird in Bonn stattfinden. Der Termin kann in der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen erfragt werden. Im Sinne von M. bitten wir um eine Spende an den Internationalen Solifonds ...“

Um das ein für allemal klarzustellen: Ich möchte niemals eine Trauerfeier haben, deren Termin „in der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen erfragt werden“ kann oder muß. Und von wegen Spenden an irgendwelche Fonds: Spenden, die doch eh keine Sau einzahlt! Ich will keine Spenden, ich will Blumen auf meinem Grab: massenhaft Blumen, Gestecke und Kränze und Pipapo. Wer mir aufs Grab eine Spendenbescheinigung legt, den soll sofort der Schlag treffen!

Die fünfte und letzte Todesanzeige ist vollgeschrieben mit sechzig Namen, ganz zum Schluß „die Mannschaftskameraden der grünen Tulpe“. Man kennt das von anderen Anlässen. Wenn eine Kollegin Geburtstag hat, sammelt eine das Geld ein fürs Geschenk, und wer zwei Mark gegeben hat, darf auf der Geburtstagskarte unterschreiben. Fragt sich, wer die „Mannschaftskameraden der grünen Tulpe“ sind. Was ist das überhaupt? Ein Stammtisch? Freizeitkicker? Verbergen sich womöglich hier hinter den anonymen „Mannschaftskameraden der grünen Tulpe“ die Ansätze eines Privatlebens des M.? Der erste Eindruck, heißt es, sei der entscheidende. Im Falle von M. ist der erste Eindruck leider gleichzeitig der letzte. „Ein Parteisoldat?“ fragt Rolf. Ich nicke nachdenklich. Rolf summt leise, frei nach Biermann, dem jüngeren: „Parteisoldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich'.“ Und macht sich vom Acker. Bov Bjerg

Abdruck aus der Berliner Zeitschrift für Belehrung und Erbauung „Salbader“. Redaktionstelefon: 030-448 45 05

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