Literaturnobelpreis für Berlinerin: Stolz auf die große Unbekannte

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an die Berlinerin Herta Müller freut die Kulturszene. Doch kaum einer kennt sie. Ihre Literatur ist kein Mainstream - und passt trotzdem zu Berlin.

Im Mittelpunkt mit Blumen: Herta Müller bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Vergabe des Nobelpreises am Donnerstag Bild: reuters

Es hat einen Nobelpreis für Herta Müller gebraucht, bis in Berlin verstanden wird, dass schon des Namens wegen Herta Müller nur eine Berlinerin sein kann. Der Name ist so allerweltstauglich, so geerdet, dass er wie eine Maske wirkt. Dahinter lässt sich alles verbergen, sei es Pragmatismus oder Poesie, Wortgewandtheit oder Schweigen, Melancholie oder Zorn. Etliche in Berlin meinen, eine Herta Müller zu kennen. Aber nur wenige kennen die Nobelpreisträgerin für Literatur, die seit 1987 in Berlin lebt. Eine Migrantin ist sie, eine Autorin, die Bücher geschrieben hat, deren Titel manchmal ganz leicht wiegen, wenn sie "Im Haarknoten wohnt eine Dame", "Herztier", "Barfüßiger Februar" oder "Atemschaukel" heißen. Aber auf den inneliegenden Seiten der Bücher mit solchen Titeln verbergen sich Gewichte. Die Titel nur sind Camouflage - wie auch ihr Name. Eine, die als Deutschstämmige in Ceaucescus Rumänien aufwuchs und lebte, kennt sich mit der Zweischneidigkeit von Worten aus.

Weniger pathetisch ausgedrückt: "In ihrer Gesamtpersönlichkeit ist Herta Müller sehr speziell." Walter Rasch, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Preußische Seehandlung, von deren Geld viel Kultur in Berlin gesponsert wird, findet diese Charakterisierung für Müller. Natürlich sagt er auch noch: "Wir sind glücklich und stolz." Denn die Stiftung hat Herta Müller vor fünf Jahren den Berliner Literaturpreis verliehen. "Unsere Jury hat das vorweggenommen, was jetzt durch den Nobelpreis bestätigt wird: Müller gehört zu den besonderen Schriftstellerinnen. "Uns war das schon damals klar."

Im Kulturkaufhaus Dussmann ist man gut vorbereitet auf die Verkündung des diesjährigen Literaturnobelpreises. Kaum ist bekannt, dass die Wahl-Berlinerin Herta Müller gewonnen hat, wird links vom Eingang der Buchhandlung an der Friedrichstraße ein Büchertisch mit ihren Werken aufgebaut. Knapp eine Stunde später ist er schon halb leer gekauft. "Wir saßen alle um Punkt 13 Uhr am Rechner. Als das Ergebnis bekannt gegeben wurde, haben wir alle Exemplare von ihr, die wir hatten, aus den Lagern in die Regale gepackt", erklärt Buchhändlerin Beata Wilcke. Nachschub sei bestellt.

Allerdings zucken viele Kunden, die zwischen den Regalen herumirren, bei dem Namen Herta Müller mit den Schultern. "Ich habe leider noch nie etwas von ihr gehört. Aber schön, dass es diesmal eine Deutsche ist", sagt ein Buchfreund aus Holland. Eine Frau im roten Pulli hebt ihre Brille an und lugt interessiert auf den Herta-Müller- Tisch. "Ich habe leider noch nichts von ihr gelesen. Ich weiß nur, dass sie aus Siebenbürgen stammt", erklärt sie in einem slavischen Akzent.

Wenig begeistert von Herta Müller ist ein 40-Jähriger mit Halbglatze, der selbst in einer anderen Buchhandlung arbeitet. "Durch das Buch ,Der Fuchs war damals schon der Jäger' musste ich mich regelrecht durchkämpfen." Er sei daher sehr überrascht über den Preis.

So geht es auch der Leiterin der Belletristik-Abteilung, Jaqueline Masuck. Sie ist allerdings ein großer Fan, wie sie sagt. Die Entscheidung der schwedischen Jury erklärt sie sich vor allem mit dem Hauptthema, das Müller beschäftigt: Deutsche in Rumänien, Fremdsein und Heimat. "Ich denke genau darin liegt auch dieser unerwartete Erfolg. " DENIZ TAVLI

Wie sich das Besondere, das Spezielle von Herta Müller manifestiert, ist für Rasch schwer zu erklären. Ihr Stil, ihre Themen, ihre Persönlichkeit zeigten das. "Sie ist nicht so der knallige Typ, der auf die Leute losrast."

Den Berliner Literaturpreis hat übrigens der Regierende Bürgermeister Wowereit seinerzeit an Herta Müller überreicht. Jetzt reagiert er, wie zuerst auch andere in der Stadt, als sie hörten, Herta Müller ist Literaturnobelpreisträgerin: mit Überraschung. Ja, Wowereit geht sogar davon aus, dass die Autorin selbst überrascht ist.

Warum eigentlich? Die Antwort kann wieder nur lauten: weil sie speziell ist, besonders, eigen. Den literarischen Mainstream bedient sie nicht. Sie ist eine Autorin in Berlin, aber keine Berlin-Autorin. "Von einer typischen Berlin-Autorin würde man Berlin-Romane erwarten", erklärt Michael Braun, Literaturreferent der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Was Herta Müller stattdessen schreibt? "Ihre Werke sind extrem verdichtete literarische und ästhetische Dokumente der Terror- und Angsterfahrung in der Diktatur." Von ihrem Werk gehe ein einzigartiges Engagement für die Würde des Menschen und die Freiheit des Wortes aus. "Herta Müller kondensiert europäische Erinnerung", sagt Braun, stutzt über den Satz und fügt hinzu: "Damit ist sie natürlich in Berlin auf eine aufschlussreiche Art aufgehoben - Berlin, diese europäische Metropole mit seinen Migrationsgeschichten, seiner Interkulturalität." Also ist Herta Müller hier doch richtig. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung hat der Berlinerin übrigens vor ein paar Jahren den Konrad-Adenauer-Literaturpreis verliehen.

Ursula Vogel vom Literaturforum im Brechthaus findet ebenfalls, dass Herta Müller richtig ist in Berlin. "Westberlin war ein Ort, wo sich viele Leute getroffen haben, die aus irgendwelchen politischen Systemen geflohen waren. Hier konnten sie sich treffen und einrichten in einer Improvisation. Einer Dauerimprovisation." Dann bringt sie, was Herta Müller und ihr Werk ausmacht, auf den Punkt: "Sie ist eine sehr ernste Person. Sie nimmt die Worte beim Wort."

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