: Litauen: Landsbergis fordert Neuwahlen
Vilnius (dpa) — Eine Woche vor einer Volksabstimmung über die Wiedereinrichtung eines starken Präsidentenamtes hat sich in Litauen der Machtkampf zwischen Parlamentspräsident Vytautas Landsbergis und den Abgeordneten des Parlamentes verschärft. Nachdem in Vilnius am Sonntag 10.000 Anhänger der litauischen Nationalbewegung Sajudis Landsbergis ihre Unterstützung ausgedrückt hatten, forderte dieser in einer Fernsehansprache vorgezogene Neuwahlen. Begründung: Das gegenwärtige, 1990 auf fünf Jahre gewählte Parlament entspreche nicht mehr der Stimmung in der Bevölkerung.
Da die in Litauen geltende vorläufige Verfassung eine Parlamentsauflösung nicht vorsieht, schlug Landsbergis außerdem eine Volksabstimmung über Neuwahlen vor.
Die Nationalbewegung Sajudis hatte zu der Demonstration aufgerufen, da die Parlamentarier die Abstimmung über die künftige Rolle des Präsidenten und den Abzug der früheren Sowjettruppen an zwei verschiedenen Tagen und nicht wie von ihr gewünscht an einem Tag durchführen wollten. Mit diesem Schachzug wollte das Parlament verhindern, daß sich die zu erwartende hohe Wahlbeteiligung in der Frage des Truppenabzugs auch zugunsten eines starken Präsidentenamtes auswirkt. Einziger Kandidat für dieses Amt wäre Landsbergis.
Doch in Litauen gibt es auch noch einen zweiten Machtkampf: Dieser spielt sich zwischen Ministerpräsident Gediminas Vagnorius und dem Parlament ab. Vagnorius hatte am Samstag in einem Schreiben an Landsbergis den Rücktritt seiner Regierung zum 28. Mai angekündigt. Er beschuldigte das Parlament, dessen „linke“ Mehrheit in Opposition zur Regierung steht, Wirtschaftsreformen zu verhindern.
Beobachter in Vilnius werteten den Rücktritt jedoch als Versuch, öffentliche Unterstützung für Landsbergis und die Regierung zu mobilisieren. Landsbergis forderte den Ministerpräsidenten auf, im Amt zu bleiben. Mitte April hatten bereits zehn Minister gegen Vagnorius rebelliert, dem sie eigenmächtiges Hineinregieren in ihre Ressorts vorwarfen. Das Parlament hatte sich damals dem Antrag von Vagnorius widersetzt, diese Minister abzuwählen.
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