: Litauen-Krise verschärft
■ 300.000 demonstrieren für Unabhängigkeit / KP Lettlands gespalten
Moskau (dpa) - Nach Litauen und Estland erhält auch die baltische Sowjetrepublik Lettland eine von Moskau unabhängige KP. Die lettischen Kommunisten spalteten sich auf ihrem Parteitag am Wochenende in Riga. In der litauischen Hauptstadt Wilna verhinderten am Sonntag Tausende von Bürgern die Besetzung der zentralen Zeitungsdruckerei. Am Vortag hatten mit einer Demonstration in Wilna 300 000 Menschen ihre Forderung nach Unabhängigkeit Litauens bekräftigt und einen Appell an den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow verabschiedet.
Auf dem Parteitag der lettischen KP verließ am Samstag etwa ein Drittel der Delegierten nach heftigen Debatten und lebhafter Kritik an der Führung der Partei die Sitzung und kündigte die Gründung einer unabhängigen Partei am kommenden Wochenende an. Die übrigen Delegierten unterbrachen den Parteitag für unbestimmte Zeit.
Zu dem Bruch kam es, als die Mehrheit der rund 800 Delegierten einen Antrag der Reformer zur Schaffung einer „gerechten, demokratischen Gesellschaft in einem freien, unabhängigen lettischen Staat“ ablehnte. Daraufhin verließen rund 250 Delegierte den Saal. In der lettischen KP sind die Vertreter der nicht-lettischen Bevölkerungsgruppen in der Mehrheit.
In der Nachbarrepublik Litauen vereitelten am Sonntag morgen Tausende von Bürgern die Besetzung der zentralen Zeitungsdruckerei von Wilna durch Sondereinheiten der Moskau direkt unterstellten Miliz. Mehr als zehntausend Menschen versammelten sich mit Plakaten und Transparenten vor dem „Haus der Presse“, nachdem an frühen Morgen elf Lastwagen und drei Jeeps der Sondereinheiten vorgefahren waren, um das Gebäude zu besetzen, in dem sich die Druckereiarbeiter verbarrikadiert hatten. Die Miliz wollte dem Druckverbot für unabhängige und von der litauischen Bewegung Sajudis herausgegebene Zeitungen Nachdruck verleihen.
Nach Gesprächen von Offizieren mit dem litauischen Präsidenten Vytautas Landsbergis im Obersten Sowjet Litauens rückten die Einheiten wieder ab. Nach Angaben von Landsbergis erhielt er keine Garantie, daß das Haus nicht zu einem späteren Zeitpunkt besetzt werden würde. Trotz der Entsendung einiger Miliz-Posten in der vergangenen Woche erschienen die von dem Verbot betroffenen Zeitungen bisher weiter.
Am Samstag hatten 300 000 Litauer, aber auch Vertreter der anderen baltischen Republiken sowie der Ukraine und von Weißrußland, im Vingis-Park von Wilna für die Unabhängigkeit der Republik demonstriert. Auf der als „Volksversammlung“ bezeichneten Kundgebung wurde ein Appell an Gorbatschow angenommen, in dem ein Dialog mit Moskau gefordert wurde. Die „Freiheit Litauens“ stehe „nicht zur Diskussion“, sondern nur „der Weg dorthin“, hieß es. Während der Kundgebung überflog ein Militärhubschrauber in geringer Höhe den Park und warf Flugblätter mit den Forderungen Gorbatschows ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen