Linkspartei-Chef in BaWü über Koalitionen: "Nach der Wahl ist viel möglich"
Linkspartei-Chef Bernd Riexinger hält Rot-Rot-Grün für machbar. Bei einer großen Koalition würden "ganze SPD-Ortsvereine" zur Linkspartei übertreten.
taz: Herr Riexinger, wenn die Linkspartei in Stuttgart ins Parlament kommt, wird es nichts mit dem grün-roten Regierungswechsel. Warum soll man Linkspartei wählen?
Bernd Riexinger: Nein, umgekehrt. Rot-Grün hat keine eindeutige Mehrheit gegenüber Schwarz-Gelb. Das hiesige Wahlrecht bevorteilt die CDU. Der Wechsel klappt nur sicher, wenn wir reinkommen.
Und dann? Der SPD Spitzenkandidat Nils Schmid sagt, dass er "nicht mit der Linkspartei regieren will".
Ach, das ist Wahlkampf. Die SPD hat, anders als damals in Hessen, nichts ausgeschlossen. Der Grüne Winfried Kretschmann sagt zwar, ohne Linkspartei wäre es ihm lieber. Aber nach der Wahl ist viel möglich.
Glauben Sie wirklich, dass ausgerechnet im reichen Baden-Württemberg, mit einer rechten SPD und bürgerlichen Grünen geht, was sonst gescheitert ist?
Wir wollen uns nicht mit aller Gewalt als Regierungspartei andienen. Aber wenn man die Programme von SPD und Grünen ernst nimmt, dann gibt es schon viele Schnittstellen zu uns. Etwa bei der Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, bei mehr Gemeinschaftsschulen, kostenlose Kitas.
Die SPD wird eher mit der CDU koalieren als ein grün-rot-rotes Abenteuer zu riskieren.
Es gibt in der SPD-Landtagsfraktion welche, die lieber mit der CDU wollen. Aber das würde die SPD zerreißen. Die war schon mal Juniorpartner der CDU, das ist ihr nicht gut bekommen. Es gibt in Baden-Württemberg eine Wechselstimmung gegen Mappus. Wenn die SPD das mit einer großen Koalition konterkariert, wird sie das spalten. Dann werden ganze SPD-Ortsvereine zu uns übertreten.
In Hamburg hat fast jeder fünfte Arbeitslose Linkspartei gewählt. In Baden-Württemberg gibt es nur 4,5 Prozent Arbeitslose. Kein Wunder, dass es der Linkspartei schwerfällt, in den Stuttgarter Landtag zu kommen …
Es wird knapp, das stimmt. Es gibt aber auch in Baden-Württemberg soziale Brennpunkte.
Trotzdem: Der Aufschwung ist da, der Export brummt. Und der Linkspartei fehlen die Angriffspunkte …
80 Prozent der neu geschaffenen Jobs sind Leiharbeitsplätze. Der Aufschwung hat einen gespaltenen Arbeitsmarkt hervorgebracht. Das Problem ist weniger die Arbeitslosigkeit als der Niedriglohnsektor.
Die Wahl: Am kommenden Sonntag wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Seit 1953 stellt die CDU kontinuierlich den Ministerpräsidenten. Seit Februar 2010 ist es Stefan Mappus. Er übernahm das Amt von Günther Oettinger.
Die Umfragen: In einer aktuellen emnid-Umfrage führt die CDU mit 38 Prozent vor den Grünen mit 25 Prozent und der SPD mit 22 Prozent. Die FDP liegt bei 6 Prozent, die Linkspartei würde mit derzeit 4 Prozent den Einzug verpassen.
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Bernd Riexinger, 56, Chef der Linkspartei in Baden-Württemberg. Der Gewerkschaftsfunktionär war 2003 Mitinitiator der sozialen Bewegung gegen die Agenda 2010.
Aber die Arbeitslosen als Linkspartei-Wähler fehlen.
Wir haben hier in Baden-Württemberg zwei andere Vorteile. Wir sind sehr stark in den Gewerkschaften verankert, auch bei den Fach- und Industriearbeitern. Außerdem sind wir geschlossen. Es gelingt nicht, uns als linke Chaoten hinzustellen.
Solche Antikampagnen nutzen ja oft der Linkspartei.
Unsere Klientel ist sowieso mobilisiert. Wir haben hier, anders als in Hamburg, einen richtigen Lagerwahlkampf.
Wird Ihre Partei mitregieren?
Ich wage da keine Prognose. Aber wenn wir das Zünglein an der Waage sind, wird der Regierungswechsel nicht an uns scheitern, ob mit Tolerierung oder Regierungsbeteiligung. Voraussetzung ist ein tatsächlicher Politikwechsel. Sozialabbau, Tarifflucht, Privatisierung, Personalabbau im öffentlichen Dienst und der Bau von Stuttgart 21 sind mit uns nicht zu machen.
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