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Linksabbiegen kostet Radfahrer 450 Mark

■ Im Streit mit einem Busfahrer gibt sich ein Pedalritter vor Gericht geschlagen

Jeder weiß: Radfahrer haben einen schweren Stand im Straßenverkehr. Im Zweifel setzt sich das fort, wenn die Pedalritter vor den Schranken der Justiz stehen. Der konkrete Einzelfall beschreibt zunächst eine gewöhnliche Situation, die so oder so ähnlich tagtäglich hundertfach passiert. Radfahrer Michael F. will von der Entlastungsstraße in die Leipziger Straße links abbiegen. Hinter ihm rollt ein Bus. Der hupt. Der Radfahrer erschrickt, gerät ins Schleudern und bremst. Der Bus überholt in Tuchfühlung und fährt weiter.

Das Drama beginnt. So nicht, denkt Michael F., nachdem der erste Schrecken verdaut ist. Der 30jährige sprintet hinterher. An der nächsten Haltestelle hat er den Bus eingeholt, er klopft an die Scheibe. Busfahrer Günter K. läßt die Tür verschlossen, außer dem wutschnaubenden Radfahrer will niemand einsteigen. Anders bei der nächsten Haltestelle. Michael F. stellt sein Gefährt in die Tür. „Ich zeige Sie an!“ – „Das wollen wir doch mal sehen, wer hier wen anzeigt“, sagt der Busfahrer.

Anderthalb Jahre später, nämlich letzte Woche, hat die Geschichte im Amtsgericht Tiergarten ein Ende gefunden. Der Radfahrer zahlt „für einen guten Zweck“ 450 Mark. Der gute Zweck heißt ADFC, Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, Landesverband Berlin. Damit hat sich der Strafbefehl über die gleiche Summe – 15 Tagessätze zu 30 Mark – erübrigt. Danach sollte sich der Radfahrer schuldig gemacht haben, „einen anderen rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung genötigt zu haben“. Trotz Radwegs sei er auf der Straße gefahren, trotz Hupsignals habe er „grundlos“ gebremst und „die Spur blockiert“. Michael F. fühlt sich noch heute „hundertprozentig im Recht“. Er akzeptiert den gerichtlich herbeigeführten Vergleich, weil er Angst vor einer Verurteilung hat, Angst vor einem Führerscheinentzug oder vor Strafpunkten in Flensburg. Das kann er sich aber nicht leisten. Schließlich verdient er sein Geld als Taxifahrer.

Für Busfahrer Günter K., vor Gericht akkurat als Hauptbelastungszeuge in BVG-Uniform erschienen, ist alles in Butter. Das Verfahren gegen ihn „wegen Behinderung und Gefährdung im Straßenverkehr“ wurde eingestellt. Fast wäre es aber nach der Einigung vor dem Verhandlungssaal, quasi außergerichtlich, zwischen den beiden alten Kontrahenten zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen. Die Schuldfrage war wiederaufgebrochen. Das Drama hätte seine Fortsetzung gefunden, wäre nicht der Anwalt des Radfahrers gewesen. Geistesgegenwärtig ging er dazwischen und trieb die Streithähne auseinander. Christoph Oellers

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