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Linker Aktivist aus Zwickau „Ich kann die Finger nicht still halten“

Jakob Springfeld kommt aus Zwickau. Er ist 21 und Autor von „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“. Als linker Aktivist steht er im Fadenkreuz der Neonaziszene. Wir haben mit ihm gesprochen – und zum taz-Kongress am 27. April eingeladen.

Mai 2023: Jakob Springfeld demonstriert für ein früheres Kohle-Aus in der Lausitz. Timo Förster

taz lab | Das Publikum im Saal wird augenblicklich still. Stiller, als es ohnehin schon war. Jakob Springfeld, der bis eben noch laut vorlas, richtet nun sein aufgeschlagenes Buch in Richtung der Zu­hö­re­r*in­nen. Seine Miene ist ernst. Demonstrativ blättert er durch die ersten Seiten. Dort sind die Namen vieler Menschen aufgelistet. 218 sind es. 218 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990.

Je­de*r weiß, wer Beate Zschä­pe ist, aber kaum jemand kennt die Namen der Opfer. Das muss der Autor von „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“ immer wieder feststellen, wenn er auf Lesetour geht. Auch heute in Kreuzberg. Als Springfeld im Jahr 2002 in Zwickau zur Welt kommt, hält sich dort bereits das NSU-Trio versteckt. Neun Jahre lang werden sie sich eine Stadt teilen, bis am 4. November 2011 eine Explosion die Stille im Zwickauer Weißenborn zerreißt. Dieser Tag würde vieles klarer machen. Und ebenso viele Fragen aufwerfen.

Mit 19 fing Springfeld an, sein Buch zu schreiben, und die Erzählungen sprudelten nur so aus ihm heraus. „Ich hätte noch mal zehn Anekdoten mehr da reinpacken können“, sagt er nach der Lesung im Gespräch. Das Schrei­ben sei eine Art Selbsttherapie gewesen. So lauten die letzten Zeilen: „In Zwickau leben heißt unter Nazis leben. In Zwickau leben heißt aber auch unter Freun­d*in­nen leben, unter Ak­ti­vis­t*in­nen, die niemals aufgeben. Zwickau ist meine Hölle, Zwickau ist meine Heimat.“

Im Fadenkreuz der Neonaziszene

Anfeindungen, Gewaltandrohungen, Hasskommentare. Seit seiner Jugend ist Springfeld als Klima- und linker Aktivist im Fadenkreuz der Neonaziszene. In Zwickau geht er deshalb aus Vorsicht nicht mehr allein auf die Straße. Anders als sein Freund Mostafa aus Afghanistan habe er sich aber diesen Hass ausgesucht, betont Springfeld. „Es wäre so leicht, diese verdammte Angst abzustreifen, wie eine Jacke, aus der ich herausgewachsen bin“, heißt es in seinem Buch. „Ich müsste nur die Klappe halten. Dann würde sich in Zwickau bald niemand mehr um mich scheren.“ Ein Privileg, das Mostafa nicht habe.

Tatsächlich hat Springfeld vor wenigen Jahren seine Heimat verlassen. Und studiert momentan in Halle Politik und Soziologie. „Ich dachte mir jetzt nicht, ich muss von den Nazis weg oder so“, sagt er. „Aber ich muss zugeben: Es ist schon ein guter Nebeneffekt.“ Sein Leben in Halle genießt er als eines fernab von Lesungen und Protesten. Wo er ein normales Studentenleben führt, den Uni-Alltag mit Mate und Knusperflocken bewältigt und abends auch mal mit Freun­d*in­nen in einer Bar landet.

Wegzug als Hinterlandsverrat?

Leicht sei ihm die Entscheidung, aufzubrechen, aber nicht gefallen. Ob er damit nicht „das Hinterland“ verrät, habe er sich häufig gefragt. Aber: „Ein Wegzug muss kein harter Cut sein“, kann er jetzt mit Gewissheit sagen. Zum einen sei er oft genug zu Besuch in Zwickau. Und zum anderen zieht es ihn gerade quer durchs Land, häufig in den Osten. Auf den zahlreichen Demos gegen rechts ist Jakob Springfeld ein gefragter Redner. Wer ihn da schon mal reden hörte, weiß, dass der meist eher ruhige Typ auch laut werden kann.

„Ich kann einfach die Finger nicht stillhalten, wenn ich sehe, was in diesen Städten passiert“, sagt er. Gerade in Städten wie dem sächsischen Waldheim, wo es viel mehr Mut bedürfe, sich gegen rechts zu positionieren. Wo der Gegenprotest auch mal stärker als der Protest ausfalle. Wo vergangenen Sonntag 250 „Bunte Perlen“ 300 Teilnehmern von AfD und „Freien Sachsen“ gegenüberstanden.

So viel Mut ihm die Proteste auch machen, Springfeld ist überzeugt: Das reicht nicht. „Wir müssten uns mindestens so oft treffen, wie es Faschos machen“, sagt er und plädiert für eine „breite soziale Bewegung“. Und die beginne im Kleinen. Mit der Erkenntnis, dass vieles um einen herum politisch ist. Sei es, indem man sich im Betriebsrat engagiert oder an solidarischen Nachbartreffs teilnimmt. „Demokratisch wählen, das ist der Minimalkonsens“, sagt Springfeld. Das werde aber langfristig nicht reichen, um der extremen Rechten den Nährboden zu entziehen.

Und diese Debatte geht weiter, auf dem taz lab am 27. April. Alle Infos und Details zum taz-Kongress 2024 gibt es in unserem tazlab-Infobrief – einfach hier anmelden.