Linke vor der Bundestagswahl: Die verzagten Reformer
Die Linkspartei will Einigkeit zeigen. Doch es gibt Widersprüche - und Oskar Lafontaine. Er scheint übermächtig, aber nur, weil die Reformer so klein wirken.
BERLIN taz | Oskar Lafontaine beherrscht die Linkspartei wie kaum ein anderer. Nur Joschka Fischer hat bei den Grünen eine ähnlich dominate Rolle gespielt. Und bislang ist die Linkspartei mit ihrem Parteichef bei Wahlen, in Hessen, Niedersachsen und Hamburg, gut gefahren.
Doch jetzt die Partei. Die Finanzkrise nutzt ihr nichts. Bei der Europawahl hat sie 7,5 Prozent bekommen. Mehr als 2004, aber viel weniger als erwartet. Ein Krisenzeichen ist auch, dass einzelne Reformer der Partei den Rücken kehren, weil sie Lafontaines Populismus falsch finden. Lafontaines Polemik gegen die SPD ist vielen im Osten zu laut. "Gysi", sagt ein Reformer, "geht die Besserwisserei von Lafontaine sowieso auf die Nerven". Zoff ist 100 Tage vor der Bundestagswahl auf dem Parteitag am Wochenende in Berlin nicht zu erwarten. Aber die lange vom Erfolg kaschierten Widersprüche zwischen Ost und West, Fundis und Reformern werden sichtbar. Dass die Fundis von der Antikapitalistischen Linken (AKL) sich bei der Aufstellung der Europaliste und der Bundestagsliste aus NRW durchgesetzt haben, lasten die Pragmatiker auch Lafontaine an. "Er hackt immer nur auf uns herum, die Fundis dürfen machen, was sie wollen", beschwert sich ein Reformer.
Umstritten ist noch immer das Verhältnis zur SPD. Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei, betont unermüdlich, der Hauptgegner sei nicht die SPD, sondern "Union und FDP". Bartsch strebt Rot-Rot-Grün an. Viele Fundis halten das für Verrat. Lafontaine redet mal so, mal so. In Reden agitiert er noch immer gegen die SPD. Doch wo es um reale Politik geht, klingt er moderat. Seine Devise: Regieren, wo es geht. In Thüringen, in NRW und im Saarland sieht er "große inhaltliche Überschneidungen" mit Rot-Grün. Die Reformer rätseln: Wo will er hin?
Katina Schubert, Ex-Vizechefin der Partei und Mitglied des pragmatischen "Forum demokratischer Sozialismus" (FdS), hat sich vor einem Jahr aus der Parteispitze zurückgezogen. Auch wegen Lafontaine. "Wir kamen inhaltlich nicht zusammen", sagt Schubert. Jetzt hat sie den Eindruck, dass der Parteichef sich "mehr zurücknimmt". Die Arbeit am Wahlprogramm hat er weitgehend Gregor Gysi überlassen. "Die Partei ist Lafontaine nicht so wichtig, aber er will Erfolg haben", sagt Schubert.
In der Tat ist es so, dass Lafontaine nur so überlebensgroß erscheint, weil die Reformer so klein wirken. Dabei sind die Mehrheitsverhältnisse eindeutig. Die meisten Neueintritte (4.000 in 2009) gibt es zwar im Westen. Trotzdem ist die Partei noch immer eine Ostpartei: Im Westen hat sie rund 26.000 Mitglieder, im Osten knapp 50.000. Dass die meist im Osten beheimateten Reformer so unauffällig wirken, hat Gründe. Der machtpolitisch geschickteste Reformer, Dietmar Bartsch, muss als Bundesgeschäftsführer die gesamte Partei repräsentieren. Ihr klügster Stratege, André Brie, gilt als Einzelgänger. Bei den ostdeutschen Landeschefs gibt es keinen Wortführer. Und manche Reformer reden über Lafontaine, als wäre er der böse Wolf.
Die Reformer sind zudem kein einheitliches Lager. Das FdS will nicht immer das Gleiche wie die ostdeutschen Landeschefs. Die, so die Befürchtung, könnten sich entnervt aus dem Geschäft der Bundespartei verabschieden. Dies wirkt wie eine Wiederaufführung des Ossi-Wessi-Konflikts der 90er Jahre. Die Westler treten unerschütterlich selbstbewusst auf, die Ostler verabschieden sich in die Schmollecke.
Klaus Lederer, Chef der Berliner Linkspartei, meint: "Antikapitalistische und Sozialistische Linke agieren geschlossener als wir." Der Berliner Reformer Udo Wolf sagt, dass viele PDSler hofften, dass "wir Debatten, ob der Sozialismus in drei oder fünf Jahren eingeführt wird, hinter uns haben". Die Reformer neigen zudem zum Selbstkritischen, auch zur achselzuckenden Kapitulation. Das sind angenehme Eigenschaften, im Richtungskampf aber eher hinderlich.
Doch das Kernproblem der Reformer ist ein anderes. "Es ist uns", sagt Lederer, "nicht gelungen, ein verbindliches Ziel für die ganze Partei zu entwickeln". Was fehlt, ist das prägnante Symbol, warum sich der Reformkurs lohnt. Die Bilanz von Rot-Rot in Berlin mag sich sehen lassen. Sie reicht von der Sanierung der bankrotten Berliner Landesbank bis zum Pilotprojekt Gemeinschaftsschule und der zur Abmilderung von Hartz IV. Doch damit bringt man keine Parteitage in Stimmung. Dem Reformlager fehlt das identitätsstiftendes Thema, der allen einleuchtende Erfolg. Auch deshalb wirkt es so klein - und Lafontaine so groß.
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