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■ Linke Apologeten in der DefensiveBeim Kongreß des Verbandes deutscher Schriftsteller in Aachen schwanden die Vorbehalte gegen "ehrliche Erinne- rungsarbeit". Mit dem DDR-Dissidenten Erich Loest als neuem VS-Chef soll die Mauer...

Beim Kongreß des Verbandes deutscher Schriftsteller in Aachen schwanden die Vorbehalte gegen „ehrliche Erinne-

rungsarbeit“. Mit dem DDR-Dissidenten Erich Loest als neuem VS-Chef soll die Mauer endgültig überwunden werden.

Linke Apologeten in der Defensive

Zwei Tage lang währte der Aachener Friede. Ohne jede Aufgeregtheit, fast leidenschaftslos routiniert bewältigten die 75 Delegierten des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) ihr Kongreßpensum. Selbst die Wahl des neuen Vorsitzenden verlief ohne Kontroverse. Den Weg dazu hatte der am Samstag mit knapp 85 Prozent der Stimmen gewählte neue Vorsitzende Erich Loest im Vorfeld der Tagung mit seinem „Polenplan“ selbst geebnet: Loest will den VS dafür einspannen, in den nächsten Jahren „seine Hauptkraft auf die Förderung polnischer Literatur in Deutschland und deutscher Literatur in Polen zu verwenden“. Für diese Initiative hat Loest inzwischen die Autoren Günter Grass, Siegfried Lenz, Marcel Reich-Ranicki und Christa Wolf gewonnen.

Daß Loest bei seiner Ideensuche auf Polen stieß, kommt nicht von ungefähr: Der Schriftstellerstreit um Polen markiert für Loest den Wendepunkt des VS, dem der „Niedergang“ folgte. „Die einen sahen in Solidarność den erhofften Aufstand gegen die Stalinisten, die anderen die katholische Konterrevolution.“ Als der Putschistengeneral Jaruzelski 1983 den polnischen Schriftstellerverband verbot, fiel der damalige VS-Vorsitzende und inzwischen verstorbene Bernt Engelmann seinen polnischen Berufskollegen schändlich in den Rücken. Ein von VS und PEN an den Putschgeneral gerichtetes Telegramm, in dem die Wiederzulassung des verbotenen Verbandes gefordert wurde, ließ Engelmann kurzerhand durch ein Telegramm ersetzen, in dem nur noch von der Zulassung „eines“ Verbandes die Rede war. Nach Protesten von Grass, Böll und Lenz mußte Engelmann zurücktreten.

Auf dem 1984 in Saarbrücken folgenden VS-Kongreß wurde dann der weitgehend unbekannte Sachbuchautor Hans Peter Bleuel, ein enger Weggefährte Engelmanns, mit nur einer Stimme Mehrheit gegen die als Favoritin gehandelte Ingeborg Drewitz zum Vorsitzenden gewählt. Bleuels Wahl bescherte dem VS die größte Krise. Ob seinerzeit für den Saarbrücker Kongreß „regelrechte Stasi-Drehbücher“ geschrieben wurden, wie Jürgen Fuchs behauptet, steht dahin. Sicher ist aber, daß die SED mit Hilfe des DDR- Schriftstellerverbandes und der Stasi bei der Durchsetzung des von ihnen favorisierten Bleuel kräftig mitmischte. Daß 1984 in Saarbrücken der DDR-Dissident Erich Loest zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde, vermochte an der danach einsetzenden Fluchtbewegung aus dem VS nichts zu ändern. Viele namhafte AutorInnen traten in der Folgezeit aus oder zogen sich – wie Martin Walser – zurück.

Am Samstag holte diese Vergangenheit den inzwischen um 600 ostdeutsche AutorInnen erweiterten Verband wieder ein. Auf welch brüchigem Fundament der neue Friede fußt, wurde deutlich, als Carsten Gansel, Mitglied in der VS-Geschichtskommission, die vielen in den Archiven dokumentierten SED-Versuche, Einfluß auf die Organisation der westdeutschen Schriftsteller zu nehmen, ansprach. Davon mögen manche im VS am liebsten gar nichts mehr hören. Sicher, so räumte der Berliner Hans Häußler ein, „die Politik der Intrige gab es“. Man solle darüber auch intern reden, „aber für die Öffentlichkeit ist das ja nicht bestimmt“. Ein öffentlicher Streit darüber erschwere nur die Lösung der Gegenwartsprobleme.

Nun, über solch bodenlose Einfalt ließe sich gnädig hinwegsehen, spräche da jemand nur für sich selbst, stünde dahinter nicht die unsägliche linke Tradition, die Wahrheit im Zweifelsfall taktischen Zwängen des politischen Kampfes unterzuordnen. Im Schriftstellerverband hat diese Politik jahrelang ebenso dominiert wie in der Gewerkschaft Druck und Papier und in der später gegründeten IG Medien. Nicht in erster Linie wegen der in diesen Organisationen zweifelsfrei überdurchschnittlich präsenten DKP- Truppe, sondern vor allem deshalb, weil weit über den DKP-Bereich hinaus viele Westlinke die DDR als die im Grundsatz bessere Hälfte Deutschlands betrachteten. Das räumt inzwischen auch Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien, ein. Diese Sicht führte, so Hensche im Vorfeld der Tagung, „zu einer Relativierung von Mißständen, zum Schweigen, wo Protest geboten, zur Distanz, wo Unterstützung oppositioneller Gruppen notwendig gewesen wäre“.

In Aachen sprach der nicht wieder kandidierende Loest-Vorgänger Uwe Friesel von dem falschen Beharren „auf vorgeblich sozialistischen Positionen, die die andere Seite längst mißbrauchte“. Um dann fortzufahren: Der VS habe aus Besorgnis um seine Friedenspolitik „berechtigte Interessen der Dissidenten aus der DDR hintangestellt oder nur unzureichend zur Kenntnis genommen“. Friesel weiter: „Hier ist eine Entschuldigung fällig an alle, die persönlich unter den Konsequenzen dieser Politik zu leiden hatten, eine Entschuldigung, die ich meinerseits hiermit ausspreche.“

Von Dieter Lattmann, dem Gründungsvorsitzenden des Verbandes und früheren kulturpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, waren solche Töne nicht zu hören. In seinem Referat zur 25jährigen Geschichte des VS hielt er den ungeliebten DDR-Dissidenten vor, die Hilfen des VS „geringgeschätzt“ zu haben, weil sie den westdeutschen Schriftstellerverband zu Unrecht an „der Mächtigkeit des Schriftstellerverbands der DDR gemessen“ hätten.

Das also war das Dissidentenproblem? Wohl mit Blick auf Lattmann und die vielen Stummen in Aachen sprach Erasmus Schäfer, einst glühender Anhänger der realsozialistischen Paradiese, über seine „Enttäuschung“, daß so wenige Dichter und Denker im VS bereit sind, ihre politisch bedingte Immunisierung gegenüber unliebsamen Wahrheiten auch nur zu thematisieren. Es gibt viele im VS, denen das wenige schon zu viel ist. So sähe Lattmann das Experiment mit der Geschichtskommission am liebsten beendet, um „Kräfte und Finanzmittel des VS“ freizumachen „für konkrete Gegenwartsaufgaben“. Die Kommission wird weiter versuchen, „ehrliche Erinnerungsarbeit“ (Gansel) zu leisten. Das wird nicht ohne Streit abgehen, denn, so der neue Vorsitzende Loest, „Zeitgeschichte ist Geschichte, die noch qualmt.“

Mut und Zuversicht verbreitete am Wochenende Martin Walser, der nach acht Jahren erstmals wieder eine VS-Tagung besuchte. Das Gesprächsklima erschien ihm wie eine „kleine Erlösung“ im Vergleich zu früher. „Nicht mehr so rechthaberisch, viel weniger polemisch. Der Verband ist fast nicht mehr wiederzuerkennen.“ Walter Jakobs, Aachen

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