„Lindenstraße“-Schauspielerin über Klischees: „Medien sind der Realität hinterher“
Sarah Masuch spielt die neue Ärztin in der „Lindenstraße“ – alleinerziehend und schwarz. Ein Gespräch über Klischees und Wirklichkeit im Serienfernsehen.
taz: Frau Masuch, Sie sind die neue Ärztin in der „Lindenstraße“. Dr. Iris Brooks ist jung, alleinerziehende Mutter und obendrein eine afrodeutsche Frau. Revolutionär?
Sarah Masuch: Revolutionär finde ich das nicht! So eine Figur kommt in der deutschen Fernsehlandschaft tatsächlich kaum vor, aber da hinken die Medien der Realität hinterher. Es gibt doch mittlerweile viele intellektuelle People of Color in Deutschland.
Dennoch werden sie als Schauspieler häufig in stereotype Rollen gesteckt – Verbrecher, illegale Migranten …
Ja, das stimmt. Für mich als Sarah ist es aber natürlicher und naheliegender, eine alleinerziehende Ärztin zu spielen als eine Putzfrau, einen Flüchtling oder eine Prostituierte. Die Lebensrealität von einer Dr. Brooks ist viel näher an meiner eigenen als die Rolle einer illegalen Migrantin. Ich habe auch vor der „Lindenstraße“ schon eine Ärztin gespielt, im „Tatort“ und in „Der Kriminalist“. Vielleicht habe ich einfach eine medizinische Ausstrahlung.
Haben Sie in Ihrer Karriere bestimmte Klischees bedienen müssen?
Ich habe viel Glück gehabt. Ich habe meine Laufbahn am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg begonnen – also einem großen Haus, das kein provinzielles Publikum bedienen muss und geübter ist im Umgang mit kultureller Vielfalt. Meine erste Rolle dort war die Möwe Nina von Anton Tschechow. Ernies Freundin in „Stromberg“ und die durchgeknallte Plattenproduzentin in „Fleisch ist mein Gemüse“ waren auch nur nebenbei schwarz. Und ich bin in anderen klassischen Stücken besetzt worden, ohne dass meine Hautfarbe thematisiert wurde.
Wer hat Sie gefördert?
Ich habe viel mit der Regisseurin Ingrid Lausund gearbeitet. Da ist zum Beispiel auch das Stück „Hysterikon“ entstanden. Darin geht es um ein „schwarzes Mädchen“, das sich mit der Suche nach der eigenen Identität in einer weißen Welt auseinandersetzt.
, 34, hat an der Bayerischen Theaterakademie Schauspiel studiert und war danach am Deutschen Schauspielhaus Hamburg engagiert. Masuchs Vater ist Nigerianer, ihre Mutter ist Deutsche. Seit 15 Jahren steht Sarah Masuch auch für Film und Fernsehen vor der Kamera, unter anderem für „Großstadtrevier“ und „Tatort“.
Die „Lindenstraße“
Seit 1985 wird die „Lindenstraße“ sonntags um 18.50 Uhr in der ARD ausgestrahlt, am Sonntag läuft Folge Nummer 1.398.
Hans W. Geißendörfer ist der Erfinder der Serie und führt nach wie vor die Regie. Handlungsschauplatz der lebensnahen Geschichten ist die Lindenstraße.
Neben menschlichen Aspekten greift die Serie auch gesellschaftspolitische Entwicklungen und tagesaktuelle Ereignisse auf: Debatten über die Gleichstellung von Schwulen und Lesben oder Veganismus werden genauso angesprochen wie Rechtsradikalismus oder Arbeitslosigkeit.
Und Sie waren dann das „schwarze Mädchen“?
Genau genommen war ich „das schwarze Mädchen, das auf einmal so einen Impuls hat“.
Einen Impuls?
Ja, bei der Improvisation brach aus mir heraus: „Meine Freunde waren in der Antifa, ich nie. Ich fand immer, ich müsste das nicht. Ich bin ja schon schwarz, ich bin sozusagen ’ne wandelnde Lichterkette, das genügt doch. Genau genommen bin ich gar nicht richtig schwarz. Ich bin nicht richtig schwarz, ich bin nicht richtig weiß, schon wieder unentschieden.“
Sie haben nie auch mal stereotype Rollenangebote angenommen?
Doch, da bin ich auch nicht drum herumgekommen. Für das Fernsehen habe ich auch mal die gebrochen deutsch sprechende Haushaltshilfe gespielt. Aber Regisseure wie etwa Christian Görlitz und Rolf Silber haben mich glücklicherweise auch dann besetzt, wenn die Hautfarbe keine Rolle gespielt hat.
Ist es manchmal schwer, den eigenen künstlerischen Anspruch mit dem tatsächlichen Rollenangebot zu vereinbaren?
Ja. Als Schauspielerin – egal ob schwarz oder weiß – gerät man immer wieder mal in Konflikt mit dem eigenen Kunstanspruch und der Marktlage. Man muss von Fall zu Fall entscheiden. Viele Faktoren können eine Rolle spielen – sowohl künstlerische, politische, aber auch wirtschaftliche. Ich habe in meiner Karriere auch Rollen gespielt, die zwar das Etikett Flüchtling oder Prostituierte trugen, aber nicht stereotyp geschrieben waren. Solche Rollen, die kein Klischee, sondern einen Menschen mit einem differenzierten Innenleben zeigen, habe ich gerne gespielt.
In Ihrer neuen Rolle als Dr. Iris Brooks spielen Sie eine Frau mit einem sehr starken Charakter. Ist eine derartige Powerfrau überhaupt realistisch?
Die Figur ist vielfältig – das finde ich im Endeffekt echter und authentischer. Sie setzt sich wie ein Puzzle aus vielen Elementen zusammen, und jedes Element hat seine Gültigkeit. Wenn ich als Schauspielerin an einer Rolle arbeite, merke ich, ob die Elemente zusammenpassen.
Berührt Sie diese Rolle mehr als andere?
Ich habe das Gefühl, ich kann mir von Iris Brooks eine Scheibe abschneiden. Mir imponiert die Selbstverständlichkeit und das Selbstbewusstsein, mit der sie als Ärztin und Mutter auftritt – sie lässt sich auch von Anfeindungen nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Das Besondere an der Rolle ist für mich auch ihr amerikanischer Hintergrund – und die intensive Auseinandersetzung mit dem Arztberuf, die diese Figur nötig macht. Es macht mir Spaß, mir medizinisches Grundwissen anzueignen. Zudem ist es eine spannende Herausforderung, die Mutter einer pubertierenden Tochter zu spielen – zumal ich selbst Mutter einer Tochter bin, die allerdings noch nicht in dem Alter ist.
Experimentelle Rollen am Deutschen Schauspielhaus, nun mit der „Lindenstraße“ ein vergleichsweise seichtes Serienformat. Bekamen Sie da auch Bedenken zu hören?
Ich war überrascht, wer sich alles als Fan outete, als ich im Freundeskreis von meiner baldigen Zugehörigkeit erzählte. Viele – und auch viele, von denen man es nicht unbedingt annehmen würde – schauen jeden Sonntag ab 18.50 Uhr zu.
Warum, meinen Sie, ist das so?
Die „Lindenstraße“ ist ein Stück Kulturgut. Jeder kennt die Serie, egal, ob man sie sich nun anschauen mag oder nicht. Mutter Beimer und Dr. Dressler sind wohl jedem Menschen über 30 in diesem Land ein Begriff. Die Serie gibt es seit 27 Jahren. Viele Schauspieler der ersten Stunde sind immer noch dabei – und das Publikum hat ihnen beim Erwachsenwerden zugeschaut. Man hat Ehen entstehen und wieder zerbrechen sehen. Das verbindet. Und das hebt die Serie auch von anderen ab. Sie hat eine gesellschaftliche Relevanz!
Sind Sie optimistisch, dass wir dank Iris Brooks in Zukunft mehr Rollen im Fernsehen zu sehen bekommen, die Klischees aufbrechen?
Ein flächendeckendes Umdenken wird wegen einer afrodeutschen, alleinerziehenden Ärztin in der „Lindenstraße“ wohl nicht gleich stattfinden. Aber Iris Brooks kann dazu beitragen, dass man sich an die Rolle der schwarzen Ärztin im Fernsehen gewöhnt.
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