Lieblingsstrände : Schön und biestig
An dich werde ich immer denken, Playa Zicatela! Lang machst du dich, vier endlose Kilometer lang vor Puerto Escondido in Mexiko. Reihen von Kokospalmen schirmen dich ab, in deinem samtweichen Sand versinken die Füße. Pelikane ziehen hinaus aufs Meer. Wellen werden zu Wänden, haushoch, bis sie sich überschlagen und krachend, vor Gischt schäumend, an Land ausrollen. Deshalb bist du Pilgerziel für Wellenreiter. Gut gebaute Beach Boys aus Kalifornien schwärmen von deiner Brandung.
Wir Blumenkinder schaukelten damals in den Hängematten unter Strohdächern und träumten in den Tag. Dazwischen verschlangen wir Jack Kerouacs „On the road“ und Jorge Castanedas „Journey to Ixtlan“. Nur wenn Hunger und Durst anklopften, sprangen wir über den glühend heißen Sand zur staubigen Dorfstraße. An den Bretterbuden holten wir uns für ein paar Pesos Tacos und Tortillas, fangfrischen gebratenen Fisch und süchtig machende Licuados. Am frühen Abend schauten wir Natur-TV, die Sonne und ihr Untergang hieß die Serie, und ließen die Joints kreisen, bis Strand und Meer vor den Augen verschwammen. Das Rauschen der Brandung, Silhouetten im Mondenschein – die Nacht war die Zeit der Paarungen. Playa Zicatela, du bist so schön, so verführerisch.
Und du bist ein Biest! Wer das Meer hinter deinem Strand nicht kennt, geht darin unter. Die Gefahr liegt unterm Wasser, in den Strudeln und Strömungen, die einen herunterziehen. Das Grab ist schon bereitet. Nirgendwo steht „Peligro!“, keine rote Flagge weit und breit. Ich spielte mit dem Meer, schoss bäuchlings unter den Wasserlawinen hindurch, ließ mich von den Brechern zum Strand tragen. Bis ich irgendwann den Boden unter den Füßen verlor, die Strömung mich mitriss. Panik! Ich ruderte anfangs noch wild, dann immer lahmer herum, wedelte mit erhobenem Arm um Hilfe, die Strandmenschen winkten freundlich zurück. Playa Zicatela, das Leben, entfernte sich zusehends.
Die Rettung kam zwei vor zwölf: Eine spontane Eingreiftruppe, drei strömungskundige Surfer kraulten zu Hilfe. Ein Australier, ein Mexikaner und ein Gringo schoben und zogen mich auf dem Rücken durch die tückischen Wasserkreisel an den Strand. Wie ein halb toter Fisch, nach Luft japsend, aber voller Glück lag ich wieder auf dir, Playa Zicatela. Ein paar Stunden später, als meine Ohnmacht schwand und die Kraft langsam zurückkehrte, soffen wir uns – Salud! – mit Rum und Cola durch die Nacht, meine Lebensretter und ich.
Seit dieser Begegnung habe ich gehörig Respekt vor dir, Playa Zicatela. Ich habe dich nie mehr besucht. Hast du dich sehr verändert? Irgendwann, bald, muss ich dich wiedersehen, du gefährliche Schönheit, um endlich die Angst vor dir zu verlieren.
GÜNTER ERMLICH