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Liebling der MassenUli Hannemann Respekt vor dem Alter? Fehlanzeige

Als ich im Treppenhaus auf die Öffnung des Mehringhoftheaters warte, strömen Massen hemmungslos schnatternder Kids weit unter 50 an mir vorbei, die im Stockwerk drüber in die Abendschule gehen. Ich drücke mich fest an die Wand, denn junge Menschen machen mir oft einfach nur noch Angst. Schon wenn ich sie nur von weitem sehe, denke ich: oh nein! Bitte nicht! Denn junge Leute bewegen sich immer so schnell und reden so laut. Ich empfinde es als rücksichtslos, wenn sie dann wieder viel zu dicht an mir vorübertrampeln, gerade so, als wäre ich gar nicht da. So was kann ich inzwischen nur noch ganz schlecht ertragen. Mit den Jahren bin ich schreckhafter und lärmempfindlicher geworden.

Natürlich fahre ich jedes Mal furchtbar zusammen. Was da alles passieren könnte. Ich könnte stürzen und mir jeden Knochen im Leib brechen, allein durch ihre Unachtsamkeit. Ach was. „Unachtsamkeit“, im Grunde vermute ich längst böse Absicht dahinter. Bei Lichte betrachtet ist das doch die schiere Mordlust.

Was habe ich ihnen eigentlich getan? Und ist es von anderen Personen im Ernst zu viel verlangt, einen normalen Sicherheitsabstand von etwa dreißig Metern einzuhalten und im Umkreis von, sagen wir, hundert Metern mit gedämpfter Stimme zu sprechen, und zwar nur das Allernötigste, und am Wochenende gar nicht? Ich denke, kaum. Schließlich ist das schon ein Kompromiss an sich. Ich komme den Aggressoren damit wirklich bereits äußerst weit entgegen. Ich müsste das nicht tun.

Aber nein. Am liebsten würde ich gar nicht mehr aus dem Haus gehen, doch praktikabel ist das nicht. Außerdem wäre das die reinste Täter-Opfer-Umkehr. Auch sehe ich überhaupt nicht ein, warum ich mir von den jungen Menschen komplett das Leben versauen lassen soll. Sollen die doch zu Hause bleiben, wenn sie sich nicht zu benehmen in der Lage sind. Dort können sie sich das ja noch mal in aller Ruhe überlegen: Ausgang unter der Prämisse zivilisierten Betragens oder eben Hausarrest.

Denn das wohl bedrückendste an der ganzen Sache ist, wenn ich dann irgendwas sage, wie, „So nicht, Freunde – ihr habt mich fast umgerannt“ oder „Passt doch bitte besser auf – ich könnte jetzt tot sein“, und sie mich bloß stumm und, wie ich finde, oft auch ziemlich feindselig anstarren. Die verstehen das einfach nicht. Da mangelt es schlicht an der emotionalen Intelligenz und wohl auch am Willen, sich in andere hineinzuversetzen. Respekt vor dem Alter? Ebenfalls Fehlanzeige. Es fehlt nur noch, dass sie mir irgendwann auch noch die Brille wegnehmen. Man hört ja so Sachen.

Deshalb schlucke ich meine Empörung lieber runter. Ich will doch nur in Frieden leben. Jetzt drängen immer mehr von denen durch das enge Treppenhaus. Und fast jeder rempelt mich beinah an. Woher kommt dieser Hass? Ich war stets nur gut zu den Jungen. Geduldig habe ich ihnen erklärt, wie die Welt funktioniert, was sie unbedingt wissen müssen und wie sie sich am besten verhalten. Politik. Erdkunde, Geschichte, Biologie. Selbstlos habe ich all mein Wissen geteilt, auch und gerade hier in diesem Blatt. Sie sind quasi nur durch mich lebensfähig. Und das ist jetzt der Dank?

Manchmal frage ich mich, warum sie mir nicht direkt mit einer Trompete ins Ohr blasen, den Hammer über den Kopf ziehen, meine Leiche anzünden und sie in den Müll werfen. Das wäre immerhin ehrlicher und weniger hintenrum. Aber nein, stattdessen rasen die hier schrill plappernd kaum einen halben Meter an mir vorbei und checken mich um ein Haar brutal in die Wand. Hilfe! Und der Staat unternimmt mal wieder nichts. Das ist so typisch.

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