: Liebesgrüße vom Tigris an die Seine
■ Saddam Hussein setzt auf Geiselfreilassung/ Morgen sollen alle französischen Geiseln wieder in ihrer Heimat sein/ Nach Angaben des britischen Außenministeriums wurden jedoch neue Geiseln verschleppt
Bagdad/Paris/Bonn (afp/dpa) — Fast drei Monate nach der Kuwait- Invasion setzt der irakische Präsident Saddam Hussein zunehmend darauf, mit der Freilassung ausgewählter Geiseln seine außenpolitische Isolation zu durchbrechen. Wenige Stunden, nachdem der irakische Nationalrat die Ausreise aller französischen Staatsbürger aus dem Irak und aus Kuwait gestattet hatte, schlug Saddam dem Parlament vor, auch alle bulgarischen Geiseln freizulassen. Eine Boeing 747 mit 37 britischen Geiseln traf unterdessen auf dem Londoner Flughafen Gatwick ein. Einer der Freigelassenen berichtete von einem Aufstand westlicher Geisel gegen ihre „sadistischen Wächter“. Der Abgesandte Michail Gorbatschows, Jewgeni Primakow, ist heute erneut zu einer Rundreise durch den Nahen Osten aufgebrochen. Er wird dabei Ägypten, Saudi- Arabien, Syrien und den Irak besuchen.
Der französische Außenminister Dumas betonte gestern, die Pariser Regierung unternehme alles, um die Ausreise der Franzosen aus dem Irak zu beschleunigen. Er unterstrich noch einmal, daß keinerlei Verhandlungen geführt worden seien. Der irakische Botschafter in Paris, al-Haschemi, schätzte, daß die 330 Franzosen binnen zwei Tagen ausreisen können. Ein Flugzeug von „Iraqui Airways“ sollte zunächst die Franzosen von Kuwait nach Bagdad bringen. Von dort aus würden sie dann gemeinsam mit den übrigen im Irak festgehaltenen Franzosen ausgeflogen werden.
Die Freilassung aller Franzosen begründete Außenminister Aziz damit, daß Frankreich in der Golfregion „kein Apostel der Aggression“ mehr sei. In der Resolution des irakischen Nationalrats hieß es, die Entscheidung sei getroffen worden „in Würdigung des französischen Volkes, das den Maßnahmen von US- Präsident Bush feindselig gegenübersteht“.
Wie die irakische Nachrichtenagentur 'INA‘ meldete, wurde Saddam vom stellvertretenden bulgarischen Präsidenten Semerdjew während eines Treffens am Dienstag um die Freilassung der 690 im Irak und in Kuwait festsitzenden Bulgaren gebeten. „Saddam hat ihm zugesichert, daß er bereit ist, seiner Bitte zu entsprechen“, hieß es weiter.
37 zumeist alte oder kranke Briten trafen in der Nacht zum Mittwoch in London ein. Sie waren auf Intervention des früheren Premierministers Heath freigekommen. Heath war am Wochenende zu einer in Großbritannien umstrittenen humanitären Mission in den Irak gereist, wo er unter anderem mit dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein und Außenminister Aziz zusammengetroffen war. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Bagdad erklärte Heath in Berlin, die Zeit für diplomatisches Handeln im Golfkonflikt sei nun gekommen.
Das britische Außenministerium gab andererseits gestern bekannt, in Kuwait-Stadt seien bereits am Montag 29 westliche Geiseln von irakischen Soldaten verschleppt worden. Es soll sich um 26 Briten, zwei US- Amerikaner und einen Deutschen handeln. Sie seien ins Hotel „Mansur Melia“ in Bagdad gebracht worden.
Einer der durch Heaths Intervention freigelassenen Briten, der fünfzigjährige Jim Thompson, berichtete, daß etwa fünfzehn westliche Geiseln, darunter auch Deutsche, in einer Militäranlage nahe Bagdad gegen ihre „sadistischen Wärter und die miserablen Bedingungen“ rebelliert hätten. Die Wärter hätten die Geiseln aus reinem Spaß geschlagen. Das Essen habe aus Reis und Tomatenwasser bestanden. Auch habe es keine Toiletten gegeben, berichtete Thompson gegenüber der 'Times‘. Am 29. September hätten die Geiseln dann einen Aufstand unternommen. Sie zerschlugen Fenster und Türen und schrien „Nieder mit Saddam!“ Die Angestellte der Anlage seien über die Rebellion erstaunt gewesen, da sie dachten, die Europäer seien als freiwillige menschliche Schutzschilder dort.
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