: Lieber schmollt man in der ethischen Ecke
■ betr. „Verweigerter Dialog“, taz vom 12. 3. 97, „Gezeigt, wo's lang geht“, LeserInnenbriefe, taz vom 3. 4. 97
Im Herbst 1996 veranstaltete der Verband binationaler Familien und Partnerschaften (IAF) zusammen mit anderen Organisationen eine Podiumsdiskussion zum Thema „Interkulturelle Öffnung Sozialer Dienste“. Die Podiumsteilnehmer wurden nach inhaltlichen Kriterien eingeladen, das heißt, im Vordergrund stand, ob sie zu dem Thema etwas Substantielles zu sagen hatten. Es ergab sich aber, daß von den sechs Podiumsteilnehmern drei nicht deutscher Herkunft waren. Das ist erwähnenswert, weil die Funktionäre des Türkischen Bundes, zu denen Frau Demirbüken und Herr Kolat gehören, eine Protesterklärung durch Berlin geschickt haben, in der kritisiert wird, daß „mit einer Ausnahme – keine Angehörigen der ethnischen Minderheiten auf den Podien vertreten seien“.
Die Aktion war für die Veranstalter so absurd, daß sie sich nicht genötigt sahen, darauf zu reagieren. Aber die beiden Leserbriefe erwecken den Eindruck, daß diese Art der Auseinandersetzung Schule zu machen scheint. Daher will ich doch einige Anmerkungen machen.
In der Reihe „Deutsch Türkische Dialoge“ geht es nicht um „Ausländerexperten“, die ihre Türken vorführen, wie dies beide Leserbriefe suggerieren. Es geht um eine Auseinandersetzung über Brennpunkte interkulturellen Zusammenlebens. Wenn die Reihe sich auf die deutsch-türkische Beziehung konzentriert, dann ist das einzig und allein auf die Tatsache zurückzuführen, daß die türkische Einwanderergruppe in Deutschland die größte ist und somit ihre Wortführer und Interessenvertretungen im wesentlichen den Diskurs bestimmen, mit dem Einwanderer in diesem Land ihre Situation definieren.
Jeder, der sich differenziert und ernsthaft (also nicht ideologisch) mit den Bedingungen auseinandergesetzt hat, die unabdingbar sind, damit eine Einwanderergruppe Erfolg hat, weiß, daß neben der rechtlichen Möglichkeit der Teilhabe an der Gesellschaft die Selbstdefinition der eingewanderten Gruppe für ihren Erfolg bzw. Mißerfolg ausschlaggebend ist. Daß die Diskussion über diesen Zusammenhang bis jetzt in der migrantenpolitischen Debatte kein Thema war, ist, gelinde gesagt, ärgerlich. Interessenorganisationen täten gut daran, sich zu vergegenwärtigen, welche Auswirkungen ihre öffentlichen Verlautbarungen auf die Selbstwahrnehmung derjenigen haben, die sie dem Anspruch nach vertreten.
Mit einem anachronistischen Vokabular, in dem beide Leserbriefe verfaßt sind, und einer Sprache vorwurfsvoller Polemik wird eine differenzierte Auseinandersetzung über diese Zusammenhänge abgeblockt. Man versucht, auf der Klaviatur des deutschen schlechten Gewissens zu spielen, um daraus für sich Kapital zu schlagen. Für die türkische Community und die Perspektiven des interkulturellen Zusammenlebens ist diese Form der Auseinandersetzung aber ein Bärendienst.
Anstatt mit der Öffentlichkeit lustvoll zu debattieren, zu streiten und dabei an einer Einwandererkultur zu basteln, die pusht und Kraft gibt, aus einer Einwanderungssituation das Beste zu machen, schmollt man lieber in der ethnischen Ecke. Wir leben zwar in einer Zeit, in der Opferstatus Konjunktur hat. Die Frage ist aber, wem er nutzt. Der Mehrheit der Einwanderer, die versuchen, an dieser Gesellschaft teilzuhaben, sicherlich nicht. Tatiana Lima Curvello, Mitarbeiterin der IAF Berlin. Die Organisation ist zusammen mit Mosaik-Jugendkulturetage Veranstalter der Podiumsreihe „Deutsch Türkische Dialoge“
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