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Lieber keinen Naturschutz

Drei Wirtschaftsverbände wenden sich an das Kanzleramt, um die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur zu beseitigen

Blick vom Aussichtsturm des Baumwipfelpfades im Nationalpark Bayerischer Wald in Richtung Lusen Foto: Maria Irl

Von Heike Holdinghausen

Landbesitzerverbände fordern Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) auf, sich „entschieden auf nationaler wie europäischer Ebene für eine Rücknahme, mindestens aber eine grundlegende Überarbeitung“ der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur einzusetzen. In ihrem Brief an Frei von Ende Juni schließen sich der Deutsche Bauernverband, die Familienbetriebe Land und Forst sowie der Verband Die Waldeigentümer einer Forderung von CDU-geführten Agrarministerien aus acht Bundesländern an. Sie hatten die EU-Kommission aufgefordert, das Wiederherstellungsgesetz „vollständig aufzuheben“. Damit waren sie auf breite Ablehnung bei Kollegen aus Umweltresorts, bei den Grünen, Umweltverbänden und der ökologischen Lebensmittelwirtschaft gestoßen.

Die Verordnung würde „die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie die zuständigen Verwaltungen massiv belasten“, heißt es in dem neuen Schreiben der Verbände. Vor dem Hintergrund der „Krisen- und Kriegssituation in Europa“ dürfe die heimische Versorgung nicht eingeschränkt werden. Mit diesem Argument hatten die Bauern Anfang 2024 die damalige Ampelregierung dazu gebracht, sie von der Verpflichtung zu befreien, Brachflächen auszuweisen.

„Allein die Bürokratiekosten eines einzigen Artikels der Wiederherstellungsverordnung belaufen sich auf 1,7 Milliarden Euro – Mittel, die in zahlreichen sinnvollen Projekten besser investiert wären als in zusätzliche Bürokratie“. Die Zahl stammt aus einem Papier der „Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA)“, einem Arbeitsgremium der Umweltministerkonferenz von Anfang des Jahres und bezieht sich auf Artikel 4 der Verordnung. Dieser sieht die Wiederherstellung von „Land-, Küsten- und Süßwasserökosystemen“ vor und enthält konkrete, zeitgebundene Ziele für die Umsetzung von Wiederherstellungsmaßnahmen, um den Zustand von Naturschutzgebieten zu verbessern. Die LANA-Expertengruppe „Naturschutzfinanzierung und Agrarreform“ listet in einer Tabelle auf, wie viel Geld etwa für Ausgleichszahlungen für Artenschutzmaßnahmen, die Bewirtschaftung von Offenland oder Maßnahmen im Wald notwendig werden könnten. Dieses Geld würde auch an Land­be­sit­ze­r:in­nen fließen, die geschützte Flächen besitzen, wenn sie dort Naturschutzmaßnahmen durchführen. Insgesamt errechnen die Experten die Summe von 1.731,9 Millionen Euro – und benennen auch Möglichkeiten, sie zu finanzieren. So stünden den Ländern aus den Töpfen der Gemeinschaftsaufgabe der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes sowie dem Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz erhebliche Mittel bereit.

Auch an anderer Stelle bedienen sich die Verbände aus einem Zahlenwerk, das sie nur unvollständig wiedergeben. So heißt es in dem Brief: „Eine Studie des Thünen-Instituts warnt zudem, dass die vollständige Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie – und damit auch der EU-Naturwiederherstellungsverordnung – den Holzeinschlag in der EU je nach Szenario um bis zu 48 Prozent beziehungsweise rund 36 Millionen Kubikmeter pro Jahr verringern würde.“ Die zitierte Studie beruht auf einem Arbeitspapier des Thünen-Instituts für Internationale Waldwirtschaft und Forstökonomie aus dem Jahr 2020. Die Wissenschaftler modellieren darin drei verschiedene Naturschutz-Szenarien und rechnen den jeweils möglichen Holzeinschlag hoch. Im extremsten Schutzszenario gehen sie davon aus, dass 30 Prozent der deutschen Waldfläche zusätzlich zu bestehenden Schutzgebieten nur noch eingeschränkt forstlich zu nutzen wären. Diese Zahl nutzen die Verbände in ihrem Schreiben.

„Ein Angriff auf die Existenzgrundlage unserer bäuerlichen Betriebe“

Jan-Niklas Gesenhues, Grüne

Diese Annahme liegt weitab der Realitäten in deutschen Naturschutzgebieten. Regelmäßig beklagen Umweltorganisationen wie Greenpeace eine zu intensive Holznutzung in geschützten Wäldern. So stand Deutschland in der EU zuletzt in der Kritik, weil die Bundesländer das Naturschutzrecht nicht konsequent umsetzen. 2023 und 2024 verurteilte der EuGH Deutschland dazu, das Management dieser Gebiete zu verbessern und drohte mit Strafzahlungen. Zudem stellte das Bundesamt für Naturschutz schon im vergangenen Jahr klar, dass die Wiederherstellung „eine forstwirtschaftliche Nutzung nicht ausschließt“. Vielmehr sollten Maßnahmen ergriffen werden, die die Biodiversität in Wäldern erhöhten, etwa, einige alte ökologisch besonders wertvolle Bäume stehen zu lassen.

Der Brief der Landbesitzerverbände sei ein „Angriff auf die Existenzgrundlage unserer bäuerlichen Betriebe“, sagt Jan-Niklas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Gesunde Landwirtschaft und bezahlbare Lebensmittel gebe es nur mit gesunder Natur. Beim Renaturierungsgesetz gehe es darum, Natur schützen und zu heilen, auch um eine stabile Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern“, so Gesenhues. Wie Kanzleramtschef Frei mit dem Brief umgehen und ob er im Sinne der Verfasser gegen das Naturschutzrecht vorgehen wird, war bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren.

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