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„Liebe taz...“ Setzen fünf!

Betr.: „Lernstatt Demokratie: Bin ich wichtig?“, taz bremen vom 5. Oktober 2000

Wie das Förderprogramm Demokratisch Handeln „zwölf Jugendliche in der Bürgerschaft mit einem Vortrag langweilte wie verstaubt Demokratisches Handeln ist“, enthüllte die taz am Donnerstag 5.10.00 in ihrem Lokalteil. Sie legte ihren Finger in die Wunde des „sterilen Rituals der Lernstatt Demokratie Regional“, die an den Jugendlichen, „fünf aus Hamburg, drei aus Bremerhaven, zwei aus Bremen“ vorbeilaufe. Der Vortrag von Artur Fischer (Shell-Jugend-Studie) zum politischen Bewusstsein der Jugend sei als Kritik an den Veranstaltern zu verstehen. Was sollte diese Veranstaltung?

In einer Ausstellung in der Bürgerschaft sollten sich beispielgebende Projekte demokratischen Handelns von Jugendlichen vor allem aus Bremen öffentlich präsentieren. Irgendeine Resonanz hierzu in der taz? Fehlanzeige.

Der Fischer-Vortrag wandte sich als Veranstaltung der Lehrerfortbildung (z.B. finanziert vom LIS) vor allem an Lehrer, die in der politischen Bildung stehen. Dass ein solcher Vortrag Schüler auch langweilen kann – welche Enthüllung!

Die Schülerabstinenz wurde durch ein Foto aus der Bürgerschaft bewiesen, das u.a. mich zeigt. Bildunterschrift: „Ein Lehrer sucht verzweifelt nach seinen Schülern.“ Hätte der Autor formuliert „nach mehr Kollegen“ – gäbe es manches zu erläutern, dennoch o.k. Aber diese Aussage ist voll daneben. Ich wusste wo meine Schüler sind. Sie waren zu diesem Zeitpunkt in ihren Ausbildungsbetrieben und haben gearbeitet.

Am Donnerstag haben sie Überstunden abgefeiert und von 9-11 Uhr zusammen mit 100 weiteren Schülern in der Ausstellung gearbeitet, von 11-18 Uhr in workshops Erfahrungen ausgetauscht und von 20-22 Uhr mit Bürgerschaftsabgeordneten diskutiert. All das alles andere als steril, sondern 13 Stunden engagierte Arbeit von Schülern und Lehrern. Irgendeine Resonanz hierzu in der taz? Fehlanzeige.

Die Diskussionsveranstaltung reproduzierte zunächst die große Distanz von Jugend und großer Politik („sterile Rituale“). Einige der Schüler verließen vorzeitig den Saal. Die Abgeordneten wurden z.B. gefragt, ob das für sie nur eine Pflichtveranstaltung sei. Aber am Ende vereinbarten etwa Schülerinnen der Gesamtschule Mitte einen Besuch von zwei Abgeordneten in ihrer Schule.

Das versuchten auch die Regierenden. Am Freitag besuchten einige der Kultusminister die Ausstellung in der Bürgerschaft. Sie nahmen wahr, was die taz ignorierte: Das dokumentierte demokratische Handeln von Schülern und Lehrern. Am Freitagnachmittag versammelten sich noch einmal etwa 100 Schüler und Lehrer in der Bürgerschaft zu einem Senatsempfang. Hier fanden auch das Schülerkabarett Anti-Toxin des SZ Bördestraße und das Stück „Wir wollten Euch als Gäste“ des Kurses Darstellendes Spiel am SZ Walliser Straße ein begeistertes Publikum.

Erfolg? Mehrere Projekte wollen sich neu bei der diesjährigen Ausschreibung mit ihren Erfahrungen einbringen, viele Verbindungen wurden geknüpft, Netzwerke aufgebaut. Manches ist sicher zu verbessern, aber das Bild, das die taz dank unzureichender Recherche zeichnet, wird weder dem Förderprogramm Demokratisch Handeln und noch weniger dem Engagement der Schüler und Lehrer gerecht. Um als Liebhaber „verstaubter Rituale“ im Bild zu bleiben, muss ich wohl schließen mit: „Wolschner! Setzen, fünf!“

Wolfram Stein, Lehrer, Regionalberater „Demokratisch Handeln“, Bremen

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