: „Liebe taz...“ Intimste Stelle der Demokratie
Betr.: „AStA-Wahl online“, taz-bremen vom 7.9.2000
Nach dem virtuellen Rathaus nun die virtuelle Urne: eine voreilige Initiative zur Demonstration technischer Möglichkeiten. Selbst, wenn das Internet-Wahlverfahren sicher wäre, ließe sich der Stimme nicht ansehen, ob die Wählerinnen und Wähler von anderen zu einer bestimmten Wahl gezwungen wurden. Somit riskiert das Verfahren im Gegensatz zur verstaubten Urnenwahl den Grundsatz freier Wahlen.
Darüber hinaus resultiert die Sicherheit der virtuellen Urne vor allem daraus, dass nur die beteiligten Firmen wissen, wie sie funktioniert. Für diese ist die intimste Stelle der Demokratie ein profitträchtiges Geschäftsgeheimnis – auf entsprechenden Widerstand stößt eine allgemeine Veröffentlichung des Verfahrens. Vor der rechtskräftigen Wahl an der Uni Osnabrück wurden nicht einmal die zuständigen Datenschützer und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik einbezogen. Erst im Juli kündigte die Forschungsgruppe dann an, dies nachzuholen.
Und wer sagt, dass Angriffe auf Internetwahlen sich ausgerechnet gegen die virtuelle Urne richten müssen? Könnte nicht ein Virus die Stimme unverschlüsselt an einen zweiten Rechner schicken, ohne das „mathematisch sichere“ Verfahren anzutasten? Das Internet bietet schier unbegrenzte Möglichkeiten für derartige Angriffe. Unter diesen Bedingungen käme ich nie im Traum darauf, in Treu und Glauben über das Internet zu wählen, selbst, wenn es nur eine popelige StudentInnenratswahl ist.
Sven Golchert (Uni-AStA-
Vorsitzender 1998/99)
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