Lidokino: Tödliche Kombinationen
■ Jack Nicholson in einem wirren Film über Schülerlotsen
Nicht genug damit, daß ein Besuch beim lokalen Coiffeur damit endet, daß man aussieht wie Liz Taylor (aber die späte Liz Taylor), es ist auch ein wenig Fruchtsaft in den Computer gelaufen, so daß einige Buchstaben nur noch als Serie zu haben sind. Dennoch bleibt festzuhalten, daß die Pressekonferenz von il Signor Spike Lee ziemlich lustig war, was man von Lee nicht kennt, der gemeinhin mit weißen Journalisten eher schnöselig umzugehen pflegt. Nein, er erzählte frohen Mutes, daß „Clockers“, die Geschichte eines jugendlichen „Rund-um-die-Uhr“-Dealers, ursprünglich von Scorsese inszeniert werden sollte. Robert DeNiro hätte darin den weißen guten Cop Rocky Klein spielen sollen, womit der Film natürlich ein Porträt dieses Mannes geworden wäre, wahrscheinlich so ähnlich wie „Bronx Tales“.
Das aber habe ihn, Lee, nicht so rasend interessiert (kichert). Und so habe er sich auf die Frage konzentriert, warum aus des jungen Clockers Familie, einer starken Familie, zwei so unterschiedliche Charaktere wie der Dealer (der bezeichnenderweise Strike heißt) und sein durchweg benigner Bruder Victor hervorgehen konnten. Lee hatte seinen jungen Hauptdarsteller mitgebracht, der aparterweise Mekhi Phifer (sprich Meckäi Feiffir) heißt und im Film irgendwie sehr viel einfältiger wirkte als im wirklichen Leben, wie es sich auf Pressekonferenzen so darstellt. Das Lustige war nun, daß alle zehn Sätze von diesem Phifer frenetisch beklatscht wurden. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Italiener die Tatsache beklatschten, daß ein junger Schwarzer so viele hübsche Sätze hintereinandersetzen kann und es sich sogar intelligent anhört.
Das Problem dieses ganzen Festivals scheint irgendwie zu sein, daß die Filme fast durchweg unterkomplex und überdramatisiert sind – eine tödliche Kombi.
Dauernd stellt man sich im Dunkeln Zwischenfragen („Hast du jetzt verstanden, wieso der den umgebracht hat?“), ohne daß die Antwort etwas anderes löst als unmittelbare Ratlosigkeit über den Plot. Verrätselung ist die Strategie der Stunde, die ihr ästhetisches Pendant dann in weihrauchhaften Nebelschwaden, dem Antonionisch-Wenderschen Spätherbst, ständig aufflackernden Feuersbrünsten oder sintfluthaften Regengüssen findet.
Einen letzten Ausdruck fand diese traurige Tendenz in Sean Penns „The Crossing Guard“. Schon der Titel soll irgendwie nach Styx klingen und einer letzten Überfahrt, dabei handelt es sich schlicht um Schülerlotsen, und die stammen noch aus einem Traum, den der Protagonist Freddy (Jack Nicholson) immer träumt. Er hat mit dem Unfalltod seiner kleinen Tochter zu tun, den weder er noch seine Ex-Frau Mary (Angelica Huston, Nicholsons Ex-Frau – wie die beiden das spielen konnten, ist mir ein Rätsel) vergessen können. Nun wird der versehentliche „Mörder“, ein eigentlich guter Mann mit gutem Gesicht, aus dem Gefängnis entlassen. Es folgt: A lot of Schreiing and Weining. Zeigt her euer Actor's Studio. Freddy ist (aus Verzweiflung) Juwelenhändler ... Wer will genaueres wissen? Was hat dieser Film, daß sich nicht alle Beteiligten gleich gesagt haben: Lassen wir's. Daß sie Nicholson hier Freddy genannt haben, soll vielleicht wirklich an den Nightmare on Elm Street erinnern. Aber wo der Alptraum war, was seine Schrecken, das wird zur Zeit irgendwie nicht mehr gern verraten.
Von dem Regisseur des Obst- und Südfrüchtefilms „Der Duft der grünen Papaya“ stammt „Cyclo“ das Porträt eines Rikschafahrers, eines Waisenkindes, das aus verschiedenen Gründen in die Welt des Verbrechens hinabgezogen wird. Im Gegensatz zu der „Papaya“ merkt man hier, wie der Regisseur Tranh Anh Hung inzwischen in Hongkong in die Schule gegangen ist: Blut spritzt in Fontänen aus Halsschlagadern und Schweinen, ein Debiler wird von Kinderhand fast in die Luft gejagt. Neonlichter, Kokain, klaustrophobische Marktplatzszenen – man hat den Eindruck, hier wird eine Jury bedient. Eine ganz neue Art von Kunstgewerbe entsteht da im Fernen Osten: Der Hauptdarsteller, ein stets leidend dreinblickender junger Mann, betrinkt sich, bemalt sich über und über mit türkiser Farbe und steckt sich dann noch einen zappelnden Fisch aus dem Aquarium in den Mund. Mariam Niroumand
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