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■ Jeanne d'Arc des Porno oder Gilles de Rais des Autorenfilms? Venedig setzt auf happy Hardcore und andere kleine Ärgernisse

Er wollte der Skandal von Venedig werden und war dann doch nur der Höhepunkt des Trends zum Autorenporno – „Guardami“ von Davide Ferrario, ehemals Filmkritiker und erster italienischer Fassbinder-Biograf. Höhepunkt deshalb, weil man viel expliziter nicht mehr werden kann. Für den Skandal bräuchte es freilich mehr. Dafür hätte sich Ferrario vielleicht mit der Frage, die seinem Film zugrunde liegt, auseinandersetzen sollen: Die Pornodarstellerin Nina (Elisabetta Cavallotti) erfährt bei einer Routineuntersuchung, dass sie Krebs hat. Ihr Körper, der ihr Kapital ist, lässt sie im Stich, wendet sich gegen sie. Wie geht jemand wie sie, die Gesundheit und Unversehrtheit vielleicht noch nötiger hat als andere, mit der Krankheit um?

Nun ist aber Davide Ferrario eben schrecklich prüde. Nicht was den Sex angeht, sondern was die Krankheit betrifft. Er will weder die Art von Ninas Krebserkrankung nennen noch die Torturen der Behandlung zeigen, was natürlich die eigentliche Obszönität des Films dargestellt hätte. Denn was ist schon der Schrecken der Pornoindustrie gegen den Horror der Krankenhausmaschinerie? Aber so wenig die Krankheit in seinem Film tatsächlich existiert, so wenig kommt die Sexindustrie in seinem Film vor.

Vielleicht weil sie in Person des Pornoregisseurs Antonello Grimaldi bei „Guardami“ mit im Boot ist? Von Grimaldi jedenfalls stammen die massenhaften Hardcore-Szenen, mit denen der Zuschauer umworben und verwöhnt wird. Es wundert also nicht, dass „Guardami“, in der Reihe Sogni e Visione, auf weite Strecken wie ein Werbefilm für die Produkte in der hinteren Abteilung der Videothek daher kommt. Nina steht dann selbstverständlich stolz und selbstbewusst zu ihrem Beruf. Deshalb darf sie sich auch als die „Jeanne d'Arc des Porno“ bezeichnen, als ihr die Haare ausfallen, die sie daraufhin kurz schneidet. Davide Ferrario aber muss sich nach Sichtung seines Filmchens die Hoffnungen abschminken, als der Gilles de Rais des Autorenfilms, das heilige Monster von Venedig, zu reüssieren.

Um den Titel bewirbt sich auch Harmony Korine, der am Lido bereitwillig über sein nächstes Filmprojekt Auskunft gibt. Halb Snuff-Movie, halb Buster Keaton soll es werden, und so provoziert er zu Hause Leute auf der Straße, um sie in einen Streit zu verwickeln, der dann von den Videokameras, die ihm folgen, gefilmt wird. Ein Schlüsselbeinbruch und eine Festnahme durch die Polizei sind das Resultat. Am meisten Ärger hatte er bislang allerdings mit Tierschutzaktivisten, wegen Katzenmissbrauchs in „Gummo“. So viel zu den Schwierigkeiten, heute einen Skandal hervorzurufen.

Und da fällt einem plötzlich wieder ein Filmtitel ein, der vor Tagen im Wettbewerb lief. „Pas de scandale“ von Benoit Jacquot ist einer der Filme, die man sieht und sofort wieder vergisst. Trotz Isabelle Huppert in der Hauptrolle der Ehefrau eines Industriellen, der wegen Betrugs ins Gefängnis kam und dessen Familienclan nun nach seiner Entlassung zittert, dass er doch ja die Klappe halten und keinen Skandal verursachen möchte.

Auch an den zuletzt gesehenen Wettbewerbsfilm „Rien à faire“ der Französin Marion Vernoux wird man sich nicht lange erinnern. An die Affäre zwischen der arbeitslosen Verkäuferin Marie und dem arbeitslosen Angestellten Pierre aus dem mittleren Management. Marie wird von einer blond gefärbten Valeria Bruni-Tedeschi gespielt, und je länger man ihr zuschaut, desto mehr verstärkt sich der Eindruck, wie toll das Steffi Graf doch macht, dass sie – kaum hat sie ihre Tenniskarriere beendet – gleich eine schaupielerische Leistung aufs Parkett legt. Wobei – an einem Kinotag wie diesem erscheint Tennisspielen als klasse Alternative.

Brigitte Werneburg

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