Lido-Kino: Verrätseln kommt immer gut
■ Die Jury der Biennale in Venedig gab ihre halbherzige Entscheidung bekannt
Selten war eine Jury so vielversprechend besetzt: David Lynch präsidierte, unter anderem saß der französische Regisseur Olivier Assayas drin, der Leiter des Filmfestivals in Ouagadougou, Gaston M. Kaboré, Nagisa Oshima und Uma Thurman.
Am Montag abend gab diese auf Pointiertheit gepolte Jury eine erstaunlich lauwarme Entscheidung bekannt. Es beginnt mit einer dieser ex-aequo-Plazierungen, die schon gleich nach faulem Kompromiß riechen. Der Goldene Löwe ging an einen makedonischen und einen chinesischen Film, Milcho Manchevskis „Before the Rain“ und „Vive l'amour“ von Tsai Ming-liang. Der erste verzahnt drei zunächst als unabhängige Kurzgeschichten konzipierte Episoden, in denen es um die Auseinandersetzungen zwischen Makedoniern und ihren albanischen Nachbarn geht. Mönche, marodierende Banden, verschleierte Mädchen und die Staubwolken über den sanften Hügeln geben dem Film mitunter etwas Bad-Segeberg-haftes; das eigentliche Problem ist aber, daß die Konflikte als quasi suprahistorische Flüche verrätselt werden. Das ist wohl leichter zu ertragen als Gianni Amelios „Lamerica“, in dem Albanien so verloren aussieht, wie es nun einmal ist – ohne daß er dabei des Neorealismo beschuldigt werden könnte. Es heißt, Amelio hätte für den Spezialpreis zur Debatte gestanden, der dann schließlich an Oliver Stone und seine „Natural Born Killers“ ging.
Der chinesische Film „Vive l'amour“ aus der taiwanesischen Hauptstadt hantiert schwergewichtig mit der Sinnkrise des modernen Individuums, die sich in Handtelefonen, dem Straßenverkehr und leeren Appartements äußert. In langen, zähen Minuten wird diese gymnasiale Trübseligkeit erzeugt, die mitunter so unfreiwillig komisch gerät wie die frühen Songtexte von Leonard Cohen. Immerhin ging der Silberne Löwe an „Heavenly Creatures“, eine australische Rosengartengeschichte mit Camp- Flair und lesbischem „Subtext“, aber leider hatte auch hier wieder eine zweite Löwenhälfte an den schrecklichen „Little Odessa“ vergeben werden müssen, in dem ausgerechnet Maximilian Shell einen alten Jiddn gibt in Brighton Beach.
Vanessa Redgrave bekam für die Darstellung seiner Frau den Preis für die beste weibliche Nebenrolle. Für die männliche Hauptrolle in „Yangguang canaln“, eine Art chinesisches „Eis am Stil“, wurde Xia Yu ausgezeichnet; die beste Hauptdarstellerin: Maria de Medeiros in dem portugisischen Film „Três Irmaos“. mn
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