: Libidinös besetzte Fantasie
betr.: Angriff auf die USA
Das Grauenhafteste an den Anschlägen der letzten Woche in New York und Washington ist ihre Präfiguriertheit und Quasi-Schicksalhaftigkeit. Sie waren vorgezeichnet, waren auf Leinwänden zu sehen gewesen, hundert Mal durchgespielt in Hollywoodfantasien. Anschläge auf Symbole der US-Macht waren wiederholt Anlass zur Entfaltung der dramatischen Handlung geworden, um die es ja ging: um Kriegserklärungen gegen mehr oder weniger imaginäre Feinde, um den heroischen Einsatz repräsentativer Männer unter Führung des Präsidenten und nicht zuletzt den weltweiten Schulterschluss. Unabhängig, um welchen Gegner es sich handelte, Mondbewohner, islamische Fundamentalisten oder Aliens, was zählte, war die Kriegserklärung und der Zusammenschluss des Globus unter amerikanischer Führung.
Diese libidinös besetzte Fantasie der USA haben nun die Terroristen, wer immer sie gewesen sein mögen, bedient. Die Terroristen sind mehr, als ihnen lieb sein dürfte, zu Akteuren innerhalb dieses US-amerikanischen Phantasmas geworden. Und wir sind dabei, unsererseits die Gegen-Verwirklicher von Hollywood-Szenarios zu werden. Wir dürfen uns nicht blenden lassen, Hollywood darf nicht unsere Politik vorgeben. Weder kennen wir den Feind, noch wissen wir, wo er sich befindet. Es gibt keinen Schauplatz, auf dem er zu bekämpfen wäre. Wenn wir politisch handeln wollen, müssen wir aus diesen vorgestanzten Fantasien austreten. Wir dürfen den Bildern nicht gerecht werden. Andere Fantasie an die Macht! MICHAELA OTT, Berlin
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