Liberale lieben SPD-Kandidaten: Eine Versuchung namens Gauck

Viele ostdeutsche FDP-Politiker halten den Kandidaten der Opposition für eine gute oder gar für die bessere Wahl. Selbst CDUler liebäugeln mit ihm, nur die Linke ist verärgert.

Großer Kandidat unter großen Politikern: Zehnter Jahrestag des Mauerfalls in Berlin 1999. Bild: reuters

BERLIN taz | Ein halbes Jahr lang wurde die FDP vom Berliner Koalitionspartner gedemütigt und vom eigenen Parteichef vorgeführt, jetzt ist die Stunde der Revanche gekommen. In der Bundesversammlung am 30. Juni verfügt die Partei über 147 Wahlmänner und -frauen. Damit der CDU-Politiker Christian Wulff schon im ersten Wahlgang Bundespräsident werden kann, dürfen ihm maximal 21 Stimmen aus dem Regierungslager fehlen.

Aus der Differenz dieser beiden Zahlen ergibt sich das Drohpotenzial, das die FDP jetzt gut drei Wochen lang besitzt - gegenüber der Union, aber auch gegenüber Guido Westerwelle. Sie nutzt es weidlich aus.

Lang ist die Liste ihrer Politiker, die am Wochenende Sympathie für den rot-grünen Kandidaten bekundeten. "Joachim Gauck ist ein Vertreter der ostdeutschen Seele. Darüber muss man schon nachdenken", sagte der sächsische FDP-Fraktionschef Volker Zastrow. "Die Parteiführung muss deutlich machen, welche strategischen Vorteile die Kür Wulffs für uns bringt", drohte sein Thüringer Kollege Patrick Kurth.

"Wir werden in der Fraktion darüber zu sprechen haben, ob wir trotz Bedenken mit Herrn Wulff leben können", erklärte der Fraktionschef aus Sachsen-Anhalt, Veit Wolpert. "Ich schätze ihn. Er wäre auch ein guter Bundespräsident", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Cornelia Pieper, die ebenfalls aus Sachsen-Anhalt stammt. Sie stellte die Mehrheit für Wulff allerdings nicht infrage.

Auch im Westen gibt es solche FDP-Stimmen. "Ich habe mich selbst gefragt, warum wir nicht auf die Idee gekommen sind, Herrn Gauck zu nominieren", sagte der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki. "Es darf sich nicht der Eindruck festsetzen, dass die FDP zuerst Koalitionspartner und dann erst die liberale Partei ist", kritisierte die bayerische Generalsekretärin Miriam Gruß. "Das ist ein respektabler Bewerber", sagte der baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Sympathien für Gauck gibt es auch in der Union. Der frühere brandenburgische CDU-Chef Jörg Schönbohm sagte, er frage sich, warum es nicht möglich gewesen sei, "sich im bürgerlichen Lager mit der SPD auf Gauck zu einigen".

Gauck-Begeisterung, wohin man blickt. Die Welt rief schon am Dienstag nach dem Kandidaten, da hatte die SPD bei ihm noch gar nicht angefragt. "Yes, we Gauck", titelte dieses Wochenende Bild am Sonntag, und der Spiegel verriet schon auf der Titelseite: "Der bessere Präsident" (siehe Text rechts).

Nur die Linke steht am Spielfeldrand und ärgert sich. Gauck sei für seine Partei "sehr, sehr problematisch", sagte Fraktionsvize Dietmar Bartsch der Mitteldeutschen Zeitung. Es sei offen, ob die Linke an diesem Montag tatsächlich einen eigenen Kandidaten präsentiere: "Da gehen die Meinungen auseinander."

Bei der Präsidentschaftswahl im vorigen Jahr hatte die Partei den Schauspieler Peter Sodann ins Rennen geschickt, der sich dann aber mit Äußerungen etwa über die Verhaftung von Bankchef Josef Ackermann um Kopf und Kragen redete. Die Linke verfügt in der Bundesversammlung über 124 bis 125 Stimmen.

Koalitionskandidat Wulff übte sich unterdessen in Demutsgesten. Sein Sieg in der Bundesversammlung sei noch nicht gesichert. "Es kommt auf die Geschlossenheit von CDU, CSU und FDP an", sagte er. Gauck sagte, das höchste Staatsamt solle "keine Beute der Parteien sein". Es sei "gut, wenn der Bundespräsident mitten aus dem Volk kommt".

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte hingegen, er zweifle nicht daran, "dass CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung geschlossen für Wulff" stimmten. Die "billigen Attacken von SPD und Grünen auf Christian Wulff" zeigten, dass die Opposition nichts dazugelernt habe. Schon deren Äußerungen über den bisherigen Amtsinhaber Horst Köhler hätten "eindeutig den nötigen Respekt vermissen lassen".

Als ob Köhlers Problem die Opposition gewesen wäre. Und als ob es die Stimmen von SPD und Grünen wären, um die Christian Wulff jetzt zittern muss. Und nicht die der Wahlmänner und -frauen eines Koalitionspartners, der seine Chance auf Revanche jetzt endlich gekommen sieht.

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