Liberale Kontinuität am BGH: Neuer Chef beim Staatsschutzsenat
Jörg Peter Becker gilt als Verfechter eines liberalen Rechtsstaates. Der Jurist soll jetzt Senatsvorsitzender beim Bundesgerichtshof werden.
Früher gingen linke Juristen davon aus, dass an den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte und am Bundesgerichtshof nur handverlesene, polizeikompatible Hardliner tätig seien. Dieses Bild hat sich stark gewandelt. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, bei dem die Terrorverfahren gebündelt sind, hat sich in den vergangenen Jahren als rechtsstaatliches Bollwerk erwiesen.
Das wird wohl auch künftig so bleiben. Der neue Senatsvorsitzende Jörg Peter Becker steht nach Ansicht von Karlsruher Beobachtern für liberale Kontinuität. Voraussichtlich am Mittwoch wird das Bundeskabinett dem Personalvorschlag von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) zustimmen. Der bisherige Senatsvorsitzende Klaus Tolkstorf stieg im Januar zum BGH-Präsidenten auf.
Unter Tolksdorf hatte der 3. Senat mehrfach Aufsehen erregt: So erklärten die Richter im Februar 2007 das Ausspähen von Computern für illegal, weil es noch keine Rechtsgrundlage gebe. Und Ende 2007 entschieden sie im Fall der "militanten gruppe", Brandanschläge ohne Personenschäden seien in der Regel noch kein Terrorismus, weil sie keine ernste Gefahr für den Staat bedeuteten. Becker war zuletzt stellvertretender Senatsvorsitzender. Auf der Vorschlagsliste, die Tolksdorf als eine seiner ersten Amtshandlungen als BGH-Präsident vorlegte, stand Becker ganz oben.
Als Berichterstatter hatte becker 2004 zum Beispiel die Aufhebung des ersten Urteils gegen Mounir el-Motassadeq vorbereitet, einem Freund und Helfer der Attentäter vom 11. 9. 2001. Hier kritisierte der BGH, die Sperrung von Zeugen durch die USA sei bei der Beweiswürdigung zu wenig berücksichtigt worden. Allerdings stammt von Becker auch ein hartes Urteil. 2005 bestätigte der BGH die Verurteilung von Musikern der Nazi-Band "Landser". Dabei wurde erstmals eine Musikgruppe als kriminelle Vereinigung eingestuft. Die Band ziele darauf ab, Straftaten wie Volksverhetzung zu begehen, so der BGH.
Becker, der verheiratet ist, arbeitete ab 1982 als Richter und Staatsanwalt in Aschaffenburg, ab 1993 am OLG Naumburg und seit 2000 am BGH. Er gilt als sehr präziser und wissenschaftlich interessierter Jurist. Anders als Tolksdorf ist Becker eher still und zurückhaltend. Urteilsverkündungen werden bei ihm kaum manifestartigen Charakter haben. Als Vorsitzender Richter ist er künftig für die Leitung der Verhandlungen und die innere Organisation des Senats zuständig.
Was wenige wissen: Der 54-Jährige hat auch trockenen Witz. Den Aufsatz eines Anwalts, der beschrieb, wie man Richter mit "negativer Verteidigung" fertigmachen kann, kommentierte er bei einer Veranstaltung lapidar: "Und das mögen wir nicht."
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