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Libanon vor neuem Machtkampf

■ Syrische Panzerverbände und Truppen der libanesischen Armee stehen gegen den Christen-General Aoun bereit/ Paris bietet dem eingeschlossenen General Asyl an, doch der will „in Ehren sterben“

Beirut (afp/ap/adn) — Im Libanon ist in der Nacht zum Freitag die Gefahr gewachsen, daß es in einer weiteren Runde des seit über 15 Jahre währenden Bürgerkrieges zu neuem Blutvergießen kommen könnte. Nach Augenzeugenberichten wurden Tausende syrische Soldaten mit Panzern vom sowjetischen Typ T-62, schwerer Artillerie und Raketenwerfern um das von dem christlich-maronitischen General Michel Aoun kontrollierte Gebiet im Osten und Nordosten Beiruts zusammengezogen. Unterstützung erhalten die Syrer dabei von moslemischen Einheiten der libanesischen Armee, die loyal zu dem ebenfalls christlichen Präsidenten Elias Hrawi stehen. Nach Angaben der libanesischen Polizei scheint ein Angriff dieser Verbände, die bereits im Vorrücken begriffen seien, unmittelbar bevorzustehen.

Aoun, der sich seit Monaten im Präsidentenpalast von Baabda bei Beirut verschanzt hat und die Regierung Hrawi als „syrisches Werkzeug“ bezeichnet, rief seine Anhänger zu den Waffen. Er erklärte, er werde keinesfalls aufgeben und sei bereit, „in der letzten Schlacht in Ehren zu sterben“. Etwa 2.000 bewaffnete Anhänger Aouns verstärkten darauf die Stellungen in und um Baabda. Schon seit längerem ist das von Aoun kontrollierte Gebiet weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Ende September waren die Blockademaßnahmen noch verschärft worden.

Nach eigenen Angaben kommandiert General Aoun zwischen 15.000 und 17.000 Bewaffnete, zu einem wesentlichen Teil Einheiten der im Bürgerkrieg auseinandergebrochenen „Libanesischen Armee“. Mit einem blutigen „Befreiungskrieg“, der mehrere tausend Tote und Verletzte forderte, hatte er im vergangenen Jahr die Syrer aus dem Libanon vertreiben wollen. Damaskus hat seit Mitte der 70er Jahre eine auf ungefähr 40.000 Soldaten geschätzte „Friedenstruppe“ im nachbarlichen Libanon stationiert.

Der syrische Truppenaufmarsch erfolgte auf Ersuchen des seit vergangenen November im Amt befindlichen libanesischen Staatspräsidenten Hrawi. Aoun erkennt Hrawi nicht als Präsident des Libanon an und reklamiert dieses Amt für sich. Hrawi hatte in jüngster Zeit mehrfach angekündigt, daß er „Aouns Meuterei beenden und die militärischen Institutionen unter der legitimen Autorität wiedervereinigen“ wolle. Später dann hatte der Präsident in Übereinkunft mit den Milizen der „Forces Libanaises“ (FL) die Zugänge zu dem von den Aoun- Truppen kontrollierten Gebiet blockieren lassen. Dort leben etwa 500.000 Menschen.

Die „Forces Libanaises“, die sich ebenso wie die bewaffneten Kräfte des Generals aus Angehörigen des christlichen Bevölkerungsteils rekrutieren, hatten sich vor mehreren Monaten blutige Kämpfe mit den Aoun-Anhängern um die Vorherrschaft über das Hauptsiedlungsgebiet der libanesischen Christen geliefert. Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und dem General hatte sich erheblich zugespitzt, nachdem Hrawi Ende September dieses Jahres eine Verfassungsreform in Kraft setzte, die die Gleichberechtigung der libanesischen Christen und Moslems institutionell verankert und so den Bürgerkrieg beenden soll. Diese „Charta der Nationalen Versöhnung“ war im vorigen Jahr unter Vermittlung der Arabischen Liga ausgehandelt worden. Sie löst den ungeschriebenen Nationalpakt ab, der seit 1943, dem Jahr der Unabhängigkeit von Frankreich, eine christliche Dominanz in allen Staatsangelegenheiten sicherte.

Wie aus Kreisen der Regierung Hrawi verlautete, sind französische Vermittlungsbemühungen im Gange, um ein neues Blutvergießen im Libanon zu vermeiden. Danach versucht Frankreich, General Aoun dazu zu bewegen, den Libanon zu verlassen und nach Paris auszufliegen, um dort eine Exilregierung zu bilden. Frankreichs Botschafter René Ala stehe mit dem General in Funkverbindung und dränge ihn, dem Land durch seine Ausreise ein weiteres Blutbad zu ersparen. Dies war aus Paris zu vernehmen. Ein Gewährsmann erklärte, falls Frankreich der libanesischen Regierung ein Scheitern seiner Vermittlungsbemühungen mitteilen müsse, würden Hawris Truppen mit syrischer Unterstützung Aouns Stellungen unverzüglich angreifen.

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