Levitt-Ausstellung: Sommer in New York

Die Fotografin Helen Levitt hält seit 1936 die Poesie des Alltags auf New Yorks Straßen fest. Nun zeigt Sprengel-Museum Hannover ihre erste Retrospektive in Deutschland.

Gerne fotografierte Lewitt Kinder auf den Straßen - jedoch ohne ins Kitschige abzugleiten. Bild: dpa

Den Kopf mit Al-Capone-Hüten bedeckt, den Körper an eine Postbox gelehnt - so stehen sie da. Ganz entspannt. Sie waren zu dritt unterwegs an diesem Nachmittag im Sommer 1940 in New York, und sie hatten augenscheinlich nichts Großartiges mehr vor. Kaum aufgefallen sein wird ihnen die Katze, rechts hinter ihnen auf der Straße. Ebenso wenig wie die Frau mit der Kamera, die da die Straße entlang kam - und ein Bild machte.

Die Frau war die Fotografin Helen Levitt, und die Katze ist der Grund, warum das Foto von den drei jungen Männern mehr ist als ein Schnappschuss. Die Katze und die drei jungen Männer müssen mehr gemeinsam haben, als dass sie zufällig zur selben Zeit am selben Ort waren. Es könnte eine Wesensverwandtschaft geherrscht haben, planloserweise an diesem Nachmittag in New York. Das hat Helen Levitt gesehen und festgehalten, wie so vieles, was ab 1936 auf den Straßen von New York passiert ist.

Mittlerweile ist Helen Levitt 94 Jahre alt, lebt immer noch in New York und zählt neben Henri Cartier-Bresson zu den großen Künstlern der Straßenfotografie. Im hannoverschen Sprengel-Museum hat die Stiftung Niedersachsen am Sonntag die bislang umfangreichste Retrospektive des Werkes von Levitt eröffnet - rund 300 Fotos aus den Jahren 1936 bis1993 sind zu sehen, außerdem gibt es ihren berühmten 16-minütigen Kurzfilm "In the Street" von 1952, der als Großtat in der Geschichte des Experimentalfilms gilt.

Die Ausstellung ist Bestandteil des mit 15.000 Euro dotierten "Spektrum"-Preises für Fotografie, den die Stiftung Niedersachsen alle zwei Jahre vergibt und der am Sonntag an Helen Levitt verliehen wurde. Levitt selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Verleihung teilnehmen und schickte daher ihren langjährigen Assistenten Marvin Hoshino.

Es sind späte Ehren für eine Künstlerin, die sich während ihrer aktiven Zeit schwer tat, von ihrer Kunst zu leben. Levitt beginnt 1936 mit 23 Jahren, nachdem sie bei einem Porträtfotografen in der Bronx das technische Handwerk gelernt und dann den Fotografen Henri Cartier-Bresson bei dessen Streifzügen durch New Yorks Straßen begleitet hatte. In den Jahren 1938 und 1939 assistierte sie dem Fotografen Walker Evans bei dem Projekt "The Americans". Abgesehen von einer einzigen Reise nach Mexico im Jahr 1941 fotografierte Levitt ihr Leben lang nur in New York.

Ihre erste Einzelausstellung in New York bekam Levitt 1943 im Museum of Modern Art - unter dem Label "Fotojournalismus". In Deutschland war es Catherine David, die die Fotos von Helen Levitt 1997 auf der documenta einem größeren Publikum präsentierte - als Gegenentwurf zu den digitalen, großformatigen Spielereien der gerade angesagten zeitgenössischen Fotografie.

Levitts Fotos zeigen ausschließlich Szenen aus dem Alltag, wie sie zufällig auf den Straßen stattfanden. Da sind Kinder, die sich Zorromasken aufgesetzt haben und damit auf einem Treppenaufgang stehen wie ein Gutsherr mit Gattin; ein Grüppchen aus Menschen verschiedener Generationen und verschiedener Kleidungsstile steht und sitzt vor einem Hauseingang, arrangiert, als wäre es das Gemälde eines alten Meisters. Eine Familie quetscht sich in eine Telefonzelle, zwei alte Männer essen Melone, ein Mädchen schaut mit ihrem Hund aus dem Fenster.

Die Bilder sind mal poetisch, mal albern, manchmal sind sie grotesk überzeichnet und manchmal dezent hintergründig. In jedem Fall aber respektieren sie die Menschen. Und in jedem Fall sind sie im Sommer aufgenommen und erzählen von Leuten, die gerade Zeit haben - es wird nie gehetzt und Business spielt bei Levitt nur eine Rolle, wenn es um Restaurants oder Autoverwertung geht.

Es sind letztlich schöne, entspannte Momente im warmen New York, Momente, die Levitt dezidiert nicht zu Dokumentationszwecken aufgenommen hat, sondern die nichts anderes zeigen wollen, als eine Poesie des Alltags. Levitt hat sie der Welt abgelauscht, indem sie vor allem mit Winkelsucher fotografierte: Sie wollte nicht entdeckt werden, weil ihr die Momente zu kostbar erschienen, um sie durch ihre Anwesenheit zu zerstören. Den direkten Blickkontakt zwischen den Fotografierten und der Fotografin findet man nur selten.

Auffällig ist, wie häufig Levitt Kinder fotografiert hat, vor allem spielende Kinder, die sich beim Klettern auf Torbögen oder beim Tanzen auf der Straße gerade den städtischen Lebensraum aneignen. Auch hier gelingt es ihr, Kitsch zu vermeiden, und das Geheimnis dafür mag in einer gewissen Nüchternheit liegen. Kinder hätten sie nicht speziell interessiert, sagte Levitt einmal. Aber sie seien eben da gewesen, auf der Straße, dem Ort, der schlicht auch der Arbeitsplatz von Helen Levitt war.

Bis 25. Mai, Sprengel-Museum Hannover, Künstlerbuch (Powerhouse Books, Brooklyn, NY) 29,90 Euro

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