: Letztes Geleit für den geistigen Führer
Zehntausende Kosovo-Albaner nehmen in Prishtina Abschied von ihrem verstorbenen Präsidenten Ibrahim Rugova. Angesichts des Verlusts ihres Idols haben viele Angst vor der Zukunft. EU-Chefdiplomat Solana ruft zu schneller Nachfolgeregelung auf
AUS PRISHTINA SAHADETE LIMANI
„Mit seinen Taten hat Rugova erreicht, dass die Welt uns anerkennt. Deswegen bin ich fünf Stunden hierher gereist, um ihn zu ehren. Seine Weisheit, seine Liebe und Führung werden mir sehr fehlen“, sagt Hamide und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Extra zu Ehren ihres Idols hat sie sich eine Tracht angezogen, wie man sie in dem Gebiet trägt, aus dem Rugova stammt.
So wie Hamide sind heute zehntausende nach Prishtina, in die Hauptstadt des Kosovo, gekommen, um von dem am vergangenen Samstag einem Krebsleiden erlegenen Präsidenten des Kosovo, Ibrahim Rugova, Abschied zu nehmen. Den Weg des Trauerzugs vom Parlamentsgebäude, in dem Rugova drei Tage lang aufgebahrt gewesen war, zur Stadtsporthalle Prishtina säumen schier endlos lang erscheinende Menschenschlangen, die hier in der eisigen Kälte schon seit Stunden ausgeharrt haben.
Viele weinen und werfen weiße Blumen auf den Sarg. Polizisten stehen inmitten eines Meeres von Kosovo-Fahnen Spalier. „Ich will Rugova ehren. Das, was Kosovo bis zum heutigen Tag erreicht hat, ist unbestritten sein Verdienst“, sagt ein junger Mann. Und der 60-jährige Nazif Latifi fügt hinzu: „So einen Mann wie Rugova gibt es nur einmal in einem Jahrhundert.“
Doch nicht nur seine Landsleute sind gekommen, um Rugova die letzte Ehre zu erweisen. Angereist ist auch hochkarätige Politprominenz aus dem Ausland. Kurz vor der Beerdigungszeremonie rief EU-Chefdiplomat Javier Solana die Politiker im Kosovo auf, das von Rugova hinterlassene politische Vakuum schnell zu füllen. Dies werde nicht einfach sein. Wichtig aber sei, dass Rugova Persönlichkeiten nachfolgten, die einen Sinn für Verantwortung, für Einheit und für Großzügigkeit für die Menschen im Kosovo hätten. Trotz aller Probleme sei er von der Würde beeindruckt, die die Kosovoalbaner in diesen Tagen demonstrierten, sagte Solana.
Nach dem Tod Rugovas war der Beginn der Verhandlungen über den Status Kosovos auf Februar vertagt worden. Während die Kosovoalbaner auf einer Unabhängigkeit ihrer seit 1999 von der UNO verwalteten Provinz von Serbien bestehen, ist Belgrad allenfalls bereit, über eine Autonomie zu verhandeln. Noch ist die Zusammensetzung des kosovoalbanischen Verhandlungsteams unklar. Auch wer Rugova beerben wird, ist noch nicht entschieden. Ein Nachfolger soll vom Parlament erst in einigen Wochen gewählt werden.
Der Verlust ihres Idols, für viele der Mann der Unabhängigkeit und eine Art geistiger Führer, verunsichert die Menschen im Kosovo zutiefst. „Ich weiß überhaupt nicht, wie es weitergehen wird. Ohne ihn habe ich Angst um das Kosovo. Aber ich hoffe, dass Rugovas Nachfolger seinen letzten Willen verwirklichen werden“, sagt der 25-jährige Betim. Ein anderer Mann betrachtet die Situation etwas gelassener: „Wir sind durch diese schwierige Situation gereift, und ich denke, das wird kein Problem sein. Wenn wir uns einig sind, dann werden wir es schaffen“, sagt er.
Derweil ist die Trauerfeier in der Stadtsporthalle Pristhina zu Ende und der Sarg Rugovas schon auf der letzten Etappe seiner Reise. Das Ziel ist der Friedhof der Märtyrer in Prishtina. Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Gräbern, in denen auch Mitglieder der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK beigesetzt sind, wird Rugova in einem weißen Marmorgrab seine letzte Ruhestätte finden. An Rugovas Begräbnisstätte wurden gleich nach seinem Tod 61 Kiefern gepflanzt – eine für jedes seiner Lebensjahre.