: Letztes Aufbäumen
Die 416.000 Straßenbäume leiden unter der Hitze. Wer den Baum vor seiner Haustür liebt, der gießt – auch wenn sich der gut selbst helfen kann. Ein paar trockene Fakten / Von ULRICH SCHULTE
Die Blätter
Sie sind die Lunge des Baumes. Über kleine Öffnungen in den Blättern nimmt er Kohlendioxid auf, dafür gibt er Sauerstoff an die Umgebungsluft ab – und ziemlich viel Wasser. Bei einer 100-jährigen Buche, von der noch die Rede sein wird (siehe: Die Luft), kommen da schon mal 400 Liter am Tag zusammen. Um diese Verdunstung bei Trockenheit zu verringern, haben Bäume verschiedene Strategien entwickelt. Manche Arten, zum Beispiel Linde oder Ahorn, rollen die Blätter ein – so verkleinern sie die Oberfläche. „Wasser hat eine statische Funktion. Nimmt der Druck in den Leitbahnen ab, machen die Blätter schlapp“, sagt Herbert Lohner vom Umweltverband BUND. Wird die Not größer, wirft der Baum bis zu einem Drittel seiner Blätter ab. Schlau, wie er ist, zuerst die im Innern der Krone – diese Blätter sind für die Photosynthese weniger wichtig.
Die Luft
Könnte ohne Bäume einpacken. Nicht nur, dass sie der natürliche Feind aufgeregter Feinstaub-Diskussionen sind, weil sie als riesige Filter dienen. Forscher haben aufs Gramm genau ausgerechnet, wie lebensnotwendig die ökologischen Kraftpakete für den Menschen sind. Als Probandin hat sich netterweise eine 100 Jahre alte und 25 Meter hohe Buche zur Verfügung gestellt. An einem Sonnentag verarbeitet sie 18 Kilogramm Kohlendioxid – und produziert dafür 13 Kilo Sauerstoff. So sorgt sie dafür, dass zehn BerlinerInnen jeden Tag nicht die Luft ausgeht. Ganz nebenbei stellt die Buche auch noch 12 Kilo Zucker her, den sie flugs in neues Holz investiert (Siehe: Der Stamm). Und Bezirkspolitiker, die alte Bäume unbedacht für neue Straßen abhacken, sollten sich noch diese Zahl merken: Die alte Buche bringt die gleiche Leistung wie 2.500 neu gepflanzte Jungbäume.
Das Wasser
In jedem Baum läuft ein ständiger Kreislauf ab. Die Wurzeln saugen Wasser, es wird durch Leitungen im Stamm in die Krone transportiert und dort zum Teil verdunstet. Ein Reststrom nimmt aus der Krone Nährstoffe und transportiert sie in den Stamm und die Wurzeln zurück. Wird Wasser knapp, fährt die Pflanze automatisch alle Funktionen, etwa die Photosynthese, herunter. Die meisten Bäume sind dabei auf Regen angewiesen: „Der Großteil der Stadtbäume hängt nicht am Grundwasser“, sagt BUND-Experte Lohner. Das liegt auch am Durst der Menschen. Berlin holt sich sein Trinkwasser aus rund 800 Brunnen – im Moment fördern die Wasserbetriebe rund 800.000 Kubikmeter am Tag. So viel, dass man damit das Olympiastadion fast bis an den Rand füllen könnte. Unter den Trinkwasserbrunnen – oder innerstädtischen Baustellen, in denen abgepumpt wird – sinkt der Grundwasserspiegel trichterförmig ab. Und wird für die meisten Bäume unerreichbar.
Die Laus
Steht stellvertretend für eine ganze Heerschar von Schädlingen. Die Laus liebt trockene und heiße Jahre und saugt sich besonders gern an der Linde fest, dem häufigsten Straßenbaum. Auch andere Schädlinge wie Spinnmilben stehen auf Hitze, der guten alten Miniermotte geht’s ebenfalls prächtig – in einem Prachtsommer wie diesem schlüpft eine Generation zusätzlich. Deshalb sind in Kastanienblättern, zum Beispiel am Urbanhafen, seit Wochen die braunen Fraßspuren zu sehen. Aber die Formel „Wärme = mehr Schädlinge“ gilt nicht immer. Manche Pilzarten brauchen Luftfeuchtigkeit – und werden vom Wetter trocken gelegt.
Die Äste
Neigen manchmal dazu, ihre Beziehung zum Baum plötzlich abzubrechen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn in extremen Trockenphasen legt die Pflanze Wasserleitungen in Ästen einfach still. Dadurch verlieren diese an Elastizität und können im schlimmsten Fall ihr Gewicht nicht mehr tragen: Sie brechen aus der Krone. „Von außen sehen Sie dem Ast das Problem nicht an. Alle Blätter sind dran und grün“, erklärt Wolfgang Leder vom Grünflächenamt Mitte. Aber keine Panik. So dramatisch ist die Lage noch nicht. Und sobald es regnet, nehmen Bäume tote Leitungen schnell wieder in Betrieb.
Die Wurzeln
Seine Nährstoffpumpen legt der Baum nur dort aus, wo sie ihm nützen. „Wenn Bäume an einer Straße stehen, wurzeln sie nie unter der Asphaltdecke“, erklärt Wolfgang Leder vom Grünflächenamt Mitte. Nur unter den Gehwegen spinnen sie ihr Geflecht, denn dort versickert Regenwasser. Der Baum merkt aber, wenn auf der Straße ein Riss entsteht. Es dauert fünf bis zehn Jahre, bis er die Wurzeln dorthin entwickelt – was dann die Beulen im Asphalt verursacht. Ein junger Baum wurzelt in den ersten vier Jahren nach dem Einpflanzen nur innerhalb seines Erdrechtecks. Beim Gießen kommt jeder Tropfen an. Bei alten Bäumen nutzt der Eimer Wasser weniger. Die oben liegenden Wurzeln sind zu stark verholzt.
Der Stamm
Eine Reaktion des Stammes ist von außen nicht sichtbar: Fehlt Wasser, dann reduziert der Baum das Holzwachstum (siehe: Das Wasser). Bildet eine Platane in regenreichen Jahren Ringe von einem Zentimeter Dicke aus, fallen sie dieses Jahr viel dünner aus. Ein Förster kann an einem gefällten Stamm das Klima der vergangenen Jahrzehnte nachvollziehen. Berlins Stämme müssen viel aushalten: Hunde-Urin verätzt nicht nur die Rinde, auf ständige Pissattacken reagieren Bäume auch mit Faulstellen an Stamm und Wurzeln.
Der Erdboden
Hat wenig mit einem Schwamm gemeinsam. Leider. Weil der Berliner Untergrund sand- und schutthaltig ist, kann er kaum Wasser speichern. Wenn es mal gewittert, sickert das kostbare Nass (siehe: Das Wasser) schnell in tiefere Erdschichten durch – das ist schlecht für die Bäume.