LeserInnenbriefe:
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Der richtige Blickwinkel?
betr.: „Religiöser Kuschelfeminismus“, taz vom 29. 8. 16
Liebe Frau Kresta, Ihre Einlassung zum Kuschelfeminismus, die durchaus überzeugt, wirft dennoch die Frage auf: Gibt es ihn, den richtigen feministischen Blickwinkel?
Sie kritisieren Kübra Gümüsesay und andere Frauen, die sich zum Islam bekennen und diesen reformieren wollen, wie auch die von Ihnen zitierte Islamwissenschaftlerin Katajun Amipur. Dieser „religiöse Kuschelfeminismus“ führe nicht weiter, sofern er nicht die Klarheit einer Nawal el Sadaawi (ägyptische Frauenrechtlerin) habe oder die einer Fatima Mernisa (Marokkanerin). Deren Kritik rekurriere auf die Kritik patriarchaler Logik. Frauenrechte, so endet Ihr Beitrag, würden weltweit erstritten im Kampf gegen Konventionen und Tabus. Sie würden nirgendwo „vom Himmel“ fallen. Somit aber lassen Sie den Eindruck entstehen, als sei der „richtige“ Feminismus nur im Säkularen beheimatet. Dies aber grenzt alle anders empfindenen Frauen aus, die innerhalb Ihres Glaubens sich bewegen und für das Recht auf religiöse Kontexte um eine weiblich autorisierte Auslegung der jeweiligen Traditionen und Religionen kämpfen.
Wir kommen nicht weiter, wenn wir den richtigen (ergo religionsfernen) Feminismus vom falschen kuschelnden, mit männlichen Traditionen sich arrangierenden (vermeintlichen, sprich falschen) Feminismus zu unterscheiden bemüht sind. Damit möchte ich nicht der Kritik die Berechtigung absprechen, wohl aber der Denunziation. Die feministische Bewegung hat sich immer wieder bewegt zwischen Solidarität, Respekt vor der anders Argumentierenden und den um scharfsinniges Denken bemühten Kritikerinnen, die sich auch abgrenzten gegen Irrtümer. Das Denunzieren der anderen Frau als nicht „richtige Feministin“ aber hat immer auch etwas Verengendes, das uns selten weitergebracht hat – vielleicht weil es eben das „sowohl als auch Denken“, das in seiner Komplexität so schwer auszuhalten ist, nicht zulässt, sondern die eine Wahrheit zu kennen meint. Dies ist dem Religiösen, das bipolar differenziert zwischen richtig und falsch, sehr ähnlich. CORINNA VOIGT-KEHLENBECK, Wolfenbüttel
Solidarität fehlt
betr.: „deinland ... unserland“, taz vom 30. 8. 16
Der Artikel endet damit, dass die taz es als ihre Aufgabe ansieht, „die Vision einer freien, offenen und emanzipierten Gesellschaft“ zu verteidigen. Das finde ich gut. Aber da fehlt noch etwas. Zu meiner Vision einer Gesellschaft gehört auch noch die Solidarität. Das wäre eine Gesellschaft, in der zwischen den Starken und Vermögenden auf der einen Seite und den Schwachen und den vom Leben Benachteiligten auf der anderen Seite gar nicht die heute zu beobachtende gesellschaftliche Kluft entstehen kann. HERWIG SCHENK, Minden
Komplexe Hintergründe
betr.: „Bundesregierung will Kanzleramt schonen“, taz vom 30. 6. 16
Pascal Beucker erwähnt das einstimmige Votum der Sachverständigen für eine wissenschaftliche Untersuchung der Vergangenheit des Bundeskanzleramtes im Hinblick auf die Fortsetzung von NS-Karrieren in diesem Amt. Dieses Votum ist so richtig und notwendig wie die Weigerung der Regierungsspitze, es umzusetzen, verständlich. Der „Verdacht ..., dass hier weiter verschleiert werden soll“, liegt in der Tat nahe; die Gesamtheit der Hintergründe ist allerdings komplexer.
Angela Merkel hat, anders als alle ihre christdemokratischen Amtsvorgänger, den pfleglichen Umgang mit einer nationalistisch und autoritärstaatlich geprägten, faschistischen Ideologemen oft durchaus zugeneigten WählerInnenklientel vernachlässigt. Nicht nur die CSU, auch der sogenannte konservative Flügel der CDU liegt ihr in den Ohren, das müsse ein Ende haben, Merkels Spruch „Wir schaffen das“ sei schon schlimm genug. Ein antifaschistisches Signal wie die Durchleuchtung der Dienstzeit des Dr. Hans Josef Maria Globke wäre in den Augen der Unionsrechten genau der falsche politische Akzent. Den Warnungen dieser für Merkel nicht ungefährlichen Gruppe will die Kanzlerin offenkundig nicht zuwiderhandeln.
Als der hohe Ministerialbeamte Globke in den Dienst des NS-Reichsinnenministeriums trat, wussten dessen Chef Frick und sein Staatssekretär Stuckart, dass sie es mit einem „alten“ Zentrumsmann zu tun hatten. Globkes Betrauung mit wichtigen Aufgaben war auch ein politisches Signal an das konservative Beamtentum aus vornazistischer Zeit: Es lohnt sich, den Wegen des Führers zu folgen!
Als derselbe Globke wenige Jahre nach dem Ende des NS-Reiches Staatssekretär im Bundeskanzleramt wurde, war auch dies – abgesehen von Adenauers hoher Wertschätzung der Fähigkeiten Globkes – ein politisches Signal: Wer dem NS-Staat gedient hat, kann auch dem von Bonn aus regierten Vaterland dienen und dabei sogar noch vorankommen.
Karrieren wie die Globkes und vieler anderer sollten sich sehr wohl sogar herumsprechen und dem für Linke und Linksliberale nicht erreichbaren WählerInnenpotenzial klar machen: Wählt die Union und nicht irgendwelche rechten Splitterparteien! Bei ihr seid ihr gut aufgehoben! Die jahrelange DDR-Propaganda gegen Globke war Adenauer im Ausland gelegentlich unbequem, im bundesdeutschen Inland dagegen eher erwünscht: Wer gegen Globke polemisierte, galt schnell als vom Osten gesteuert. So behielt die Union über zwei Jahrzehnte hinweg einen unerreichbaren Vorsprung vor ihrer sozialdemokratischen Konkurrenz. Kaum etwas wäre ihr lieber, als diesen Vorsprung gegenüber dem im weitesten Sinne linken Lager wiederzugewinnen.
JÜRGEN KASISKE, Hamburg
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