LeserInnenbriefe
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Auf andere angewiesen sein

betr.: „Spielräume für das Glück“, taz vom 7. 6. 16

Ganz wunderbar hat Barbara Dribbusch den (fast nie genannten) ethischen Kern des „Teilhabegesetzes“ und das in ihm steckende Paradox herausgearbeitet, das darin besteht, auf andere angewiesen zu sein, um die eigene Handlungsfähigkeit zu erlangen. Ich bekenne, dass ich als Betroffener, genau wie die von ihr zitierten Nichtbehinderten, nur aus umgekehrten Gründen, das Thema meide.

Über die Mühen der Ebene zu schreiben, ist nie besonders spannend. Allenfalls im Nachhinein, wenn die kleinen und großen Katastrophen gemeinsam durchgestanden worden sind. Und da bin ich mal wieder bei der anderen Seite des Zusammenlebens mit einer Behinderung.

„Behindert-sein“ ist nie allein privat, sondern stets (utopisch) politisch.“Ein Mensch soll des anderen Helfer sein und ist froh, wenn ihm geholfen wird“, könnte die (ebenso Brecht’sche wie christliche) Maxime des Lebens von und mit Schwerstbehinderten lauten. So bringen gerade auch sie, allein durch ihre pure Existenz, (neben der Angst) auch das verschüttete gesellschaftliche Bedürfnis nach Gemeinsamkeit, Humanität und Solidarität in die Welt, das in jedem von uns steckt: „Ich bin glücklich, wenn ich verstanden werde!“ Behinderte sind per se ein Kristallisa­tions­kern, um den herum sich (bewusst oder unbewusst) der potenzielle Widerpart zum Sozialdarwinismus bildet. Sie mindern, allein dadurch, dass man sie gesellschaftlich trägt und/oder erträgt, den Normierungs- und Selbstanpassungsdruck, der auf der ganzen Gesellschaft lastet.

Und sie tragen, allein durch ihre gesellschaftliche Anwesenheit, dazu bei, dass soziale Problemlagen und Konflikte(deren Resultat sie vielfach sind) als solche identifiziert und nicht biologisiert werden können. Ganz allgemein gesprochen, lässt sich davon ausgehen, dass das Leben von und mit Behinderten ein Potenzial in sich birgt, das auf ganz spezielle Weise die Gesetze der Markt- und Konkurrenzgesellschaft zu unterlaufen in der Lage ist. Es birgt, wie jeder bewusste Umgang mit existenziellen Lebenssituationen (Krankheit, Geburt und Tod), das Potenzial, um einen ganz anderen Maßstab, sowohl für den Umgang mit der eigenen Natur als auch mit der gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt zutage zu fördern. Aber freilich gelingt meist nur für „gelungene Augen-Blicke“ oder, wie Barbara Dribbusch schreibt, „in Spielräumen des Glücks“, die sich in auf Dauer stellen lassen; die sich aber stets aufs Neue einstellen (können).

GERTRUD und WALTER GRODE, Hannover

Toller Artikel

betr.: „Spielräume für das Glück“, taz vom 7. 6. 16

Liebe Barbara,

ganz herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für Deinen tollen Artikel in der taz zum Teilhabegesetz. Du hast die Situation in wenigen prägnanten Sätzen derart auf den Punkt gebracht, dass alte Hasen der Selbsthilfe Dir nur Respekt zollen können. Es stimmt auch, dass die Grünen hier besonders auf die Bedarfe behinderter Menschen eingehen und einzig entsprechende (barrierefreie) Veranstaltungen bieten. Weiter so!

ELKE MASSMANN, Behindertenbeauftragte Stadt Pattensen, PEER MASSMANN, Vorsitzender BSK Hannover und Umgebung e. V.

Sparsame SchweizerInnen

betr.: „Grundeinkommen abgelehnt“, taz vom 6. 6. 16

Bern: Wie aus gut unterrichteten Dreiecken, äähh ... Kreisen oberhalb der Schweizer Regierung bekannt wurde, bekommen die 22 Prozent Befürworter der Volksinitiative in Zukunft unerwartet doch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Offizielle Begründung des obersten Bundesrichters Hansruedi Vontobel-Zweilütschinen: „Da man persönliche Geschenke grundsätzlich nur für sich persönlich ablehnen kann, jedoch nicht stellvertretend für Dritte oder gar ein ganzes Volk, muss das Grundeinkommen ab sofort an all diejenigen Personen gezahlt werden, die es haben wollen. Dass 78 Prozent der sparsamen SchweizerInnen es selbst gar nicht haben wollen, beziehungsweise es ihren Nachbarn nicht gönnen, erleichtert die Finanzierung natürlich kolossal.“

DANIEL HOFMANN, Kassel

Was Deutschland blüht, wenn ...

betr.: „Merkel weist Erdoğans Angriff zurück“, taz vom 8. 6. 16“

Beim Verhalten von Erdoğan sieht man ganz anschaulich, was uns in Deutschland blühen würde, wenn hier Nationalkonservative wie die von der AfD regieren. Genauso erginge es den USA mit Trump, Frankreich mit Madame Le Pen, und in Ungarn haben wir mitten in der EU diese Situation schon mit Orbán oder in Polen mit der nationalistischen Regierungspartei. Das ist immer das gleiche Muster, Fremden- und Minderheitenhass wird propagiert, man erklärt unabhängige Justiz und Medien sowie politische Opposition zu staatsfeindlichen Organen und behauptet, man würde für das ganze Volk sprechen und regieren. Auch ist interessant, dass diese Parteien sich gern als Vertreter des einfachen Volkes verkaufen, bei „Aufregerthemen“ wie Gleichstellung, Einwanderung oder Minderheitenrechte gern auf erzkonservative Stammtischparolen setzen, aber in Fragen der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik auf einmal neoliberale Positionen besetzen und Klientelpolitik machen statt Politik für die Mehrheit der Bevölkerung. MARKUS MEISTER, Kassel