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LeserInnenbriefe

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Konservatives als Avantgarde?

betr.: „Hijab is Punk“, taz vom 8. 6. 16

„Hijab is Punk“? Das kommt mir vor wie einer der zurzeit gar nicht so seltenen, in verschiedensten politischen/weltanschaulichen Lagern unternommenen Versuche, das Konservative als Avantgarde zu verkaufen, als den neuesten heißen Scheiß – und stößt mir deshalb übel auf.

Was ist der argumentative Aufhänger für die im Text vollzogene Verknüpfung von weiblicher Verhüllung im Islam mit „Punk“? Es ist der Verweis auf den Film einer Regisseurin aus der exil­ira­nischen Community, in dem der Tschador, seines religiösen Kontexts weitgehend beraubt, irgendwo zwischen Batman, Vampirtrash und Goth-Schick im Wind flattert. Der Tschador ist hier „cool“, weil er religiöse Strenge nur noch zitiert und gleichzeitig vermittelt, dass unter seinem bloß noch symbolischen Deckmantel weibliche Unangepasstheit und Selbstermächtigung möglich ist. Ja, es scheint geradezu, als würde er als eine Art Superheldinnen-Accessoire gerade erst die nötige Power zum Kampf gegen sexistische Schurken und andere Fieslinge ver­leihen.

Ich habe diesen Film gesehen und war ebenfalls von seiner assoziativen Neubesetzung des Tschadors fasziniert. Aber steckt hinter dieser Faszination, diesem Coolfinden eben nicht doch wieder jene westliche Sichtweise, „das Muslimische“ erst dann mit erleichterndem Aufatmen gelten zu lassen, wenn es von religiöser Schwere befreit und deutlich genug mit „abendländischen“ kulturellen Praktiken und Ästhetiken verknüpft ist? Und bei aller vermeintlichen Coolness bleibt ohnehin ein schaler Beigeschmack: Dort, wo es auch und ganz besonders darauf ankäme, nämlich im Iran selbst, kann so ein Film nicht produziert und auch nicht im Kino gezeigt werden.

Alles, was (muslimische) Frauen im religiösen, politischen, medialen, (pop)kulturellen Diskurs sichtbar und hörbar werden lässt, finde ich an sich erst einmal begrüßenswert. Aber: „Hijab is Punk“, das heißt weibliche Verhüllung als rebellische, progressive Geste? Da kann ich nicht wirklich mitgehen, und zwar aufgrund einer ganz grundlegenden Überzeugung: Mir ist jegliche Verhaltensweise, jegliches Handeln oder auch Unterlassen, das über das (wahrgenommene) Geschlecht einer Person begründet wird, zutiefst suspekt. Und darunter fällt nun einmal zum Beispiel das Ausgehen davon, dass Frauen ihr Haar verhüllen sollen oder Männer „fremden“ Frauen nicht die Hand geben sollen. Ebenso übrigens auch, dass Männer nicht zuhören, Frauen nicht einparken können und ähnlicher Blödsinn. Woher kommen solche Ansichten und wohin führen sie? Meines Erachtens bedienen sie eine überkommene Geschlechterdichotomie und Geschlechtersegregation. Wie sollen wir jemals die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichstellung von Frau und Mann erreichen, wenn gleichzeitig von religiöser Seite auf eine solche geschlechtsspezifische Unterschiedlich-Behandlung gepocht wird?

Es will auch nicht in meinen Kopf, warum ein Textil so vehement als identitätsstiftendes Element verteidigt wird und warum es überhaupt wichtig ist, über Äußerlichkeiten zu vermitteln, welcher Religion eine*r angehört. Und wenn das Ganze dann noch in eine Industrie und damit in kapitalistische Konsumlogik eingebettet wird, wenn – ebenso albern wie zynisch – Begriffe wie „Modest Fashion“ geprägt werden, wird es schließlich vollkommen absurd. Wenn’s nur ein Stück Stoff ist: super: Frauen*Männer, wickelt um eure Körper und Köpfe, was ihr wollt. Wenn ihr aber wirklich meint, über Kleidungsstücke eine religiöse, persönliche, geschlechtliche Identität definieren zu können: Ist das nicht im Grunde ziemlich oberflächlich?

ELISABETH SCHRÖDER, Münster

Bisschen Bling-Bling erlaubt

betr.: „Hijab is Punk“, taz vom 8. 6. 16

„Sittliche“ Kleidung ist auch christliche Dominanzkultur. In diesem Artikel wird Gott, der dieses riesige, uralte Universum mit der durch Sexualität ermöglichten evolutionären Vielfalt erschaffen haben soll, zu einem piefigen Sittenwächter degradiert. Ein bisschen Bling-Bling ist noch erlaubt.

ULRICH HERBST, Berlin

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